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Auch unter Kuehen gibt es Zicken

Auch unter Kuehen gibt es Zicken

Titel: Auch unter Kuehen gibt es Zicken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Michalke
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Der nicht kommt, weil immer noch viel zu viele Gäste die Hütte verstopfen. Also warte ich bis nach dem Stall.
    Ich steige in meine Latzhose und marschiere zu meinen zwei kapriziösen Damen auf die hintere Weide. »Kuh-di! Kuh-di!«
    Dora spitzt die Ohren. Schaut mich an. Ich fühle, dass es jetzt drauf ankommt. Ich halte ihrem Blick stand. Fest. Und ohne einen einzigen Splitterton Zweifel in der Stimme rufe ich: »Auf geht’s! Stall gehn!«
    Und sie kommt. Ohne Zickenterror! Von mir nicht und von ihr nicht.
    Die Zenz’ kommt auch. Beide Damen marschieren in den Stall, als wär’s nie anders gewesen, jede an ihren Platz, wo schon das Zauberpulver wartet. Es ist ausgefochten. Wir sind ein Team. Danke, Dora, das werd ich dir nie vergessen.
    Sie kriegt eine extra Handvoll Zauberpulver, weil ich so froh bin. Weil sie ab jetzt ihren Job macht, und zwar immer100 Prozent. Wir haben uns zusammengerauft. Die gute Dora. Sie ist die Beste.
    » MMMM !« macht es vom anderen Ende des Stalls.
    Die Ladys haben unseren neuen Stallgast noch gar nicht beachtet. Dora hat auch nur einen Sekundenblick übrig, für die halbe Portion da drüben.
    » MMMMMHHH !«
    Also gut, gibt’s für die halbe Portion auch eine Handvoll Zauberpulver.
    »Mmh!«
    Schluss, das reicht, wenn du auch mal Milch gibst, kriegst du auch mehr Zauberpulver. Aber jetzt nicht.
    »Mh.«
    Ich melke. Tsch-g, tsch-g, tsch-g macht der Pulsator. Doras Fell riecht nach Heu und Sonne. Zenzi riecht nach frischer Erde. Ohne dass ich’s merke, lehne ich mich an Doras Bauch. Warm und rund und fest. Der Bauch hebt und senkt sich mit jedem Atemzug. Es ist ein trächtiger Bauch. Kühe sind quasi nonstop trächtig, bis auf wenige Wochen im Jahr, zwischen dem Kalb und der neuen Besamung.
    Frauen, denke ich.
    Dora atmet einen tiefen, seufzenden Bauch voll Luft, und fängt an wiederzukäuen.
    Ich atme auch einen Bauch voll Luft.
    Frauen. Ich bin ganz leise. Um mich herum ist eine Kraft, die ich bis jetzt noch nie bemerkt habe. Pure weibliche Kraft.
    Im Bauch, sagt Dora, und grunzt wie ein Wal. Wohlig. Doras Bauch ist wie ein Ball. Und da drin ist eine riesige glühende Kugel. Hingabe ist das. Und Liebe. Ungebändigte Liebe. Einfach da. Muss gelebt werden.
    Ich kenne diese Kraft nicht.
    Und dort, wo bei ihr die wunderschöne glühende Kugel ist, ist bei mir … nichts.
    Schwarz.
    Eine Erinnerung.
    An ein Ultraschallbild von einem kleinen schwarzen Punkt. Ein dunkler Klecks, ein bisschen schief und gekrümmt. Und die Worte, die die Ärztin gesagt hat. Drei Stück.
    »Tja.« Erstes Wort. »Kein Herzschlag.« Zweites und drittes Wort.
    Die haben keinen Satz gebildet. Die sind für sich geblieben, diese Worte.
    Sind einzeln um mich herumgehangen wie ein Mobile. Ich hab jedes von ihnen betrachtet, verwundert, und gewartet, dass sie einen Sinn ergeben. Denn Wörter tun das. Einen Sinn ergeben. Diese drei nicht. Tja. Kein Herzschlag.
    Kein Herzschlag zu sehen? Oder kein Herzschlag da? Oder kein Herzschlag, weil das Herz noch nicht gebildet ist? Was heißt das?
    Das Herz schlägt nicht.
    Also hat’s ein Herz.
    Natürlich hat’s ein Herz. Ich spür’s ja. Ich fühl’s ja. Ich fühl seine Anwesenheit. Ich weiß, dass es ein Bub ist. Er heißt Luis. Und ich werde ihn behüten und beschützen, mit allem, was ich habe, das hab ich ihm versprochen.
    Aber sein Herz schlägt nicht.
    Die Ärztin hat mich an die Klinik überwiesen. »Man sollte schon was machen«, sagt sie. Sonst kann es mich vergiften, irgendwie.
    Was sie noch alles gesagt hat, ist in das schwarze Loch gefallen. Wo auch der kleine schwarze Punkt hineingefallen ist.
    Sie haben mir einen Termin gegeben. Man muss in den OP. Sie schaben’s raus. Sie reißen tatsächlich ein Loch in den Bauch. Eins, das man von außen nicht sieht. Eins, von dem sie vielleicht auch nichts wissen, denn die Ärzte sind Männer und können’s nicht ausstehen, wenn Patientinnen vor der Narkose um ein fingernagelgroßes Embryo weinen.
    Geben’s ihr was, das ist ja ein Wahnsinn hier.
    Still sein.
    In ein schwarzes Loch fallen.
    Das ist mein Bauch jetzt.
    Keine glühende Kugel.
    Keine unbändige Liebe mehr, aber vielleicht braucht man die auch nicht.
    Doch, sagt Dora. Wird Zeit, dass du’s wieder lernst. Ob du willst oder nicht.
    Und dann poltert ein tiefer Rülpser aus ihrem Bauch, zwischen zwei malmenden Wiederkäuern. Und um die Sache ganz klar zu machen, hebt sie ihren Schwanz und kackt mir einen Fladen auf die Stallgasse, den ich auf eine Schaufel

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