Auch unter Kuehen gibt es Zicken
Kalb starrt mich an. Aus einem langen Riss an seinem Hinterbein rinnt ein Blutfaden.
»Was is’n passiert?«, frage ich durch die offene Stubentür in die Hütte hinein.
»Stacheldraht.« Altes Blech und Glas splittert. »Die waren über Nacht im Eiskeller. Keine Ahnung, wie sie da hingekommen sind. Gehen einfach durch ’n Zaun. Jeden Tag hab ich so ’n Zirkus. Es ist einfach kein Futter mehr da. Ah, wird echt Zeit, dass wir runtergehen.«
Sie hat recht. Hier oben wächst kein Gras mehr. Die Viecher müssten anfangen, die Steine zu fressen. Und das, tönen diehiesigen Bauern gern über ihre Wampen drüber, machen nur die Tiroler.
Das Kalb pustet mich an, aufgeregt. Allein im Stall angebunden sein ist alles andere als der erste Preis. »G’fallt’s dir nicht da herin, ha?«, sage ich.
Der Riss in seinem Bein klafft rot und nass auseinander. Ein Tierarzt im Tal würd’s wahrscheinlich klammern. Oder kleben. Mit Antibiotika versorgen und einen Verband drum machen. Aber allein auf der Alm …
»Aaah, ich glaub’s nicht!! Wer hebt’ n so was auf!!« Blech und Glas splittert.
Ich geh durch den Stall in die Stube. Stirnlampenlicht geistert über den Boden. Annika hockt im Glumpkammerl. Das ist ein Raum neben der Stube, halb in die Erde hineingegraben, ohne Fenster, und voll mit Zeug. Werkzeug zum Teil. Aber hauptsächlich Glump.
Sie nickt mir kurz zu, dann stürzt sie sich wieder in die monströse Holztruhe, die das halbe Kammerl füllt.
»Was machst’n da drin?«
»Blauspray suchen.«
»Kann ich dir helfen?«
»Mir ist nicht zu helfen. Schau dir mal diesen Saustall an!« Annika hat die komplette Truhe ausgeräumt. »Irgendwann kipp ich ihm seinen Dreck vor die Haustür, ich schwör’s dir.« Sie meint ihren Bauern.
Die letzten Trümmer fliegen aus der Truhe. Eine rostige Spraydose ist dabei. Ohne Sprühkopf. »Ha! Blauspray!« Annika bläst ihre Haare aus dem Gesicht. »Toll. Von 1969.« Sie stapft in die Stube. »Ich schütt ’n Schnaps drauf und fertig.«
Arnikaschnaps steht auf der Flasche. Arnika ist eine große gelbe Blume. Die blüht bis Ende Juli hier auf der Hochalm. Wenn man Glück hat, ist der ganze südliche Hang gelb. Seit hunderten von Jahren ist Arnikaschnaps die wirksamste Wunddesinfektion auf der Alm. Im Tal auch, übrigens. Aber wenn man ihn auf der Alm macht, hat er eine ganz andere Kraft.
Arnikaschnaps
Arnika ist eine Heilpflanze, die man bei allen Arten von Verletzungen verwendet. Ihre gelben Blüten sind ausladender als die von Margariten, weicher und mit spitzeren Enden. Die Blüten können bis zu 8 cm Durchmesser haben. Am Stiel laufen sie zu einem tiefen Kelch aus. Arnika wächst auf kalkarmen Wiesen, gern an Südhängen. In guten Jahren kann Arnika eine ganze Bergwiese gelb färben.
Auf der Hochalm, auf 1400–1600 Metern, blüht Arnika bis Ende Juli.
Man pflückt nur die Blüten. Nicht den Stiel, nicht die Blätter. Vorsichtig abzwicken, nicht dran reißen, damit man die Wurzeln nicht beschädigt. Arnika ist eine geschützte Pflanze. Also bitte nicht gierig jede Blüte an sich raffen. Nur ein paar. Und nur in guten Sommern.
Folge deinem Gefühl für den richtigen Tag zum Blumenpflücken. Es wird ein sonniger, trockener Tag sein. Ein Tag voller Kraft. Voller Sommer.
Die Blütenblätter vom Kelch lösen. Man kann sie in der Sonne ein bisschen antrocknen, sodass sie sich locker streuen lassen. Dann ein Glas oder eine Flasche mit den Blütenblättern füllen – locker, nicht stopfen! – und mit Schnaps aufgießen. Du kannst Wodka nehmen, einen guten Obstler oder einen sauberen Vorlauf oder reinen Apotheken-Alkohol (Letzteren nur zur äußeren Anwendung!).
Jetzt das Glas einige Wochen in die Sonne stellen. Dabei täglich ganz sanft schütteln. Der tägliche Aufwand und deine Gedanken, mit denen du deinen Arnikaschnaps pflegst, werden als Heilkraft in ihm enthalten sein.
Es kann dir passieren, dass die Sonne nicht scheint. Dann stell ihn über den Ofen.
Es kann dir auch passieren, dass du keine heilenden, wohlwollenden Gedanken denken kannst. Aber wenn du das bemerkst und willens bist, die wütenden, frustrierten, traurigen Gedanken zu heilen, dann ist das genauso gut wie heilende Gedanken. Freu dich an den Blüten, an deiner Heiltinktur.
Du fühlst, wann der Arnikaschnaps fertig ist. Das kann in drei Wochen sein oder in sechs. So wie du’s machst, ist es richtig.
Jetzt gießt du den Schnaps durch ein Sieb, anschließend durch einen Kaffeefilter. Die
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