Auch unter Kuehen gibt es Zicken
was verlor’n.
»Okay«, schniefe ich und binde meinen Müllsack mit einer Schnur zu. Ich sollte einfach runtergehen, raus aus dem Latschenhang und wieder runter auf die Alm. Dort sollte ich anfangen, die Stirnkranzerl zu binden. Die zumindest. Ich sollte schauen, dass die Mindestanforderungen erfüllt sind. Und dann überlegen, ob ich noch Zeit habe für die Kür. Lange Kopfkränze zum Beispiel oder Bauchgurte für die Kühe.Flatterfahnen für die Latschenbuschen. Anstecksträuße für die Helfer. Ein paar schöne Zweige für die Vase unterm Rosenbusch. So Zeug.
Stattdessen plumpse ich matt auf meinen Müllsack und beobachte, wie mein Kopf in meine Hände fällt, ohne Widerstand, und sich dort langsam hin und her wiegen lässt.
Ich will nicht, dass der Sommer schon vorbei ist.
Ich hangle mich mit kleinen Schritten den Hang hinunter. Lange grüne Nadeln streifen mein Gesicht. Harz klebt in meinen Haaren und an meinen Händen. Den Müllsack schleife ich hinter mir her, runter zum Weg. Es schüttet wie aus Kübeln. Die Mühe, meine Jacke auszuklopfen oder die Hände an irgendwas sauber zu wischen, mach ich mir gar nicht erst. Nur die Haare binde ich geschwind neu zusammen. Ich werd sie abschneiden müssen, das Harz krieg ich nie mehr raus.
»Servus«, sagt jemand hinter mir.
Sanft und ruhig. Ich kenn die Stimme.
»Geht’s da guad?«
»Ja.«
Es ist Kilian. Er kommt auch grad vom Berg runter. Vom Hang gegenüber. »I wollt’ schauen, ob i a paar Gams seh.«
»Ja. Sorry. War bloß ich.«
Da lacht er.
Ich nicke, denn es ist genug gesagt, und schultere meinen Müllsack.
»Magst mitfahren?«
Nur, wenn er nicht noch mal fragt, wie’s mir geht, denke ich. Wird er nicht. »Ja«, sage ich. »Danke.«
Er hat den Jeep weiter unten am Forstweg geparkt. Er lässt mich einsteigen und fährt einfach. Hinter der Kurve zeigt er an mir vorbei nach oben. Da stehen sie. Ein Rudel Gams, steil im Hang, wie hingemalt.
»Morgen wer’ ma nomoi auf den Hirsch’n jagern«, meint er, kurz vor dem Almgatter.
»Hm.«
»Bleibst du in der Hütt’n, oder ...«
»Hm.«
»...«
»Wieso? Glaubst du, ihr dawischt’n dieses Mal?«
Er zuckt mit den Schultern und schaut zwischen seinem Lenkrad durch.
»Ich geh zur Annika rauf morgen«, sage ich nach einer Weile.
»Ja, dann.«
»Danke fürs Mitnehmen. Pfiadi.«
»Pfiadi.«
Er sieht aus, als wüsste er, wie die Kante zwischen Leben und Tod aussieht. Wie ein heller Streifen im Himmel. Ich steige aus und lasse ihn davonfahren.
Und dann fluche ich ein bisschen herum. Warum das Leben so sein muss. So auf der Kante. Und ob’s nicht einfacher gewesen wäre, wäre ich drunten im Tal geblieben. Halleluja Zefix.
Nein , sagt der Mond überm Gana-Stoa. Später. Nein, im Tal hättest du nicht bleiben können. Im Tal war dauernd ein Nebel um dich. Auf dem Berg verzieht sich der Nebel.
Der Mond muss es ja wissen, denke ich.
Aber im Tal hat’s nicht so wehgetan. Alles hat weniger wehgetan.
Nur weil du nicht siehst, heißt ja nicht, dass es nicht da ist. Und nur, weil du nicht spürst, heißt ja nicht, dass es nicht wehtut.
Ja, Gscheithaferl.
Heute Nacht ist der Hirsch nicht hinter der Hütte.
Vielleicht kommt er ja morgen auch nicht. Komm morgen nicht, King Kong!
Ich bestimme den Zeitpunkt, hat er gesagt.
Noch 13 Tage.
Am nächsten Abend besuch ich die Annika, auf unseren letzten Almkaffee.
Sie packt schon zusammen. Teppiche hängen über dem Zaun. Um den Brunnen herum stapelt sich ihr Käsegeschirr und alles, was die Regale an hundertjährigen Töpfen hergegeben haben. Gummihandschuhe, Bürsten und Essigessenz haben ganze Arbeit geleistet. Annika kann ich nirgends entdecken. Nur ein Rumpeln hör ich, irgendwo tief in der Hütte.
»Haaallooo!«, schrei ich.
»Jaaaaa.« Das kommt von ganz weit drunten. Aus dem Untergrund.
»Wo bist’n du?«
»Da!«
Ich laufe einmal um die Hütte rum. Knöcheltiefer Baatz vor beiden Stalltüren. Nebelschwaden fliegen unter der Dachrinne durch. Sibirische Ostwinde pfeifen in allen Ritzen. Ohne Mütze friert’s mir die Ohren ab. Hier oben hat’s höchstens vier Grad. Und ich denk mir ja unten auf meiner mediterranen Alm schon, Herbst wird’s. Aber Hochalm ist echt was anderes. Hier oben bläst’s den Sommer über Nacht davon, und es gibt nichts, das ihn halten kann.
In der Hütte scheppert etwas. Alteisen.
Erschrockene Hufe trampeln über den Holzboden im Stall.
»Sch-sch-sch …«, sag ich leise. »Is ja guuut.«
Ein halbwüchsiges
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