Auch unter Kuehen gibt es Zicken
führst?«
»Ja, und dann?«, ich schreie fast.
»Keine Ahnung.« Annika weiß ganz genau, was mit einer zu kleinen Alm-Koim passieren kann. Wenn sie nicht trächtig ist. Und wie man eventuell mit ihr umgeht bis dahin.
Das halt ich nicht aus.
»Doch, das hältst du aus.«
»Und was, wenn nicht?«
»Du bist viel stärker, als du denkst«, sagt sie.
Ja, schau’ma mal.
Zehn Tage nach übermorgen wird das sein. Es wird Zeit. Ich muss heim.
»Mach’s gut morgen«, sag ich.
Annika und ihre Viecher gehen morgen heim. Nicht, dass wir das vergessen, vor lauter Liebe und Verzweiflung.
»Kommst du zuschauen?«, fragt sie.
»Klar.«
Sie lächelt, packt mich und küsst mich auf beide Wangen. Ich lächle auch und gehe. Annika verschwindet fluchend im Glumpkammerl und in ihrer Truhe. Ich höre sie. Hör sie schrubben und die Truhe zuknallen, und zwischendrin scheppert altes Eisen.
Ich hab meine Stirnlampe vergessen. Aber meine Füße laufen den Weg auch ohne Licht. Draußen auf der Wiese ist es hell, solange der Tag noch als schmaler gelber Streifen unterm Himmel hängt. Nur im Wald ist es schon Nacht. Ich höre jeden meiner Schritte. Sie klingen leicht. Viel leichter, als ich mich fühle. Sie gehen sicher und schnell. Der leise Wind bläst ein paar Schatten unter die Bäume. Ein paar Zweige wispern etwas. Nichts, wovor ich mich fürchten müsste. Nur der Wald.
Ich gehe oberhalb vom Eiskeller vorbei. Er ist gefüllt mit blauem Licht. Es ist Tag und Nacht gleichzeitig. Ich sehe denGana-Stoa von der anderen Seite. Und den Mond hinter mir, während der letzte Sonnenglanz vom Gipfelkreuz verschwindet.
Ich gehe die namenlose Wand entlang. Hinunter bis zur großen Fichte. Es riecht wieder nach Blumen hier.
Ich gehe auf den Almzaun zu.
Da höre ich den Schuss.
Ein peitschender Knall. Das Echo zersplittert am Fuß des Gana-Stoa.
»Nein!«, schreie ich.
Der Schrei macht keinen Laut. Ein Atemzug ist vorbei, bevor er geatmet ist. Ein Regentropfen fällt zurück in den Himmel.
Der Schuss hat ein Loch in die Zeit gerissen.
Da knallt es noch mal.
Ich fange an zu rennen.
Drüber über den Sonnbichl, hinunter, fliegend ums Fichtenholz herum.
Ich sehe ihn. Langsam schreitet er die Gana-Leit herunter. Das Geweih stolz erhoben. Einmal geht sein Blick noch zum Mond.
Er könnte davon. Er hätte dreimal die Zeit, über den Almzaun zu setzen und im Buchenwald zu verschwinden. Wie er es immer gemacht hat. Der Baron und sein Jagdgehilfe haben ihn nicht voll getroffen. Ich sehe den Jeep, weit hinten am Ende des aufgelassenen Forstwegs. Er hätte Zeit.
Aber er dreht sich zur Alm. Ins offene Gelände.
Er präsentiert sein Herz. Er wartet auf seinen Jäger.
Kilian. Ohne Gewehr steht er hinter dem Tanzboden. Sein Lehrbub zwei Schritte hinter ihm.
Die Hütte ist hell erleuchtet. Alle stehen vor der Tür. Drei Jagdgehilfen. Die Frau Baron. Die Ami und der Hias.
Und da steht der Hirsch.
»Wasti, hol die Büchs«, flüstert Kilian zu seinem Lehrbub. Er läuft zum Auto und bringt ihm das Gewehr. Kilian lässt den Hirsch nicht aus den Augen. Er nimmt das Gewehrund geht auf seinen Hirsch zu. Ein leichtes Drehen des Kopfes. Ein Schimmern am Geweih. Ich hab gewusst, dass du da bist.
Kilian kniet nieder. Ich sehe ihn atmen. Ich sehe seine Hand zittern, wie ein wehes Herz, das nur von einem Schmetterling berührt worden ist.
Dann stützt er den Ellbogen auf sein Knie. Der Gewehrlauf richtet sich auf King Kongs Brust. Regungslos.
Dann schießt er.
Der Hirsch ist getroffen.
Er lässt den Blick auf seinem Jäger ruhen. Ich hab gewusst, dass du da bist.
Er geht ein paar Schritte. Aufrecht. Kilian krallt die Hand um sein eigenes Herz. Der Hirsch wirft den Kopf in den Nacken, als würde er ein letztes Mal über den Almboden brüllen. Dann fällt er.
Wir stehen um seinen Körper herum.
Kilian nimmt seinen Hut vom Kopf und legt seinem Hirsch einen Tannenzweig ins Maul.
Er ist ein wunderschöner Hirsch. Er trägt das gewaltigste Geweih, das ich jemals gesehen habe. Er hat drei Einschüsse. Der letzte direkt ins Herz.
Das Leben ist ein Geschenk.
Einer wie du, King Kong, einer wie du wird bleiben. Als Legende für manche. Für mich als donnernder, alles überwindender Herzschlag.
Keiner kann nach Hause fahren. Alle gehen sie in die Hütte. Der Kachelofen in der Stube ist eingeheizt. Hias schenkt uns allen einen Schnaps ein, und einen Doppelten für Kilian.
Sie trinken, sie reden, sie können’s nicht glauben, dass dieser Hirsch
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