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Auch unter Kuehen gibt es Zicken

Auch unter Kuehen gibt es Zicken

Titel: Auch unter Kuehen gibt es Zicken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Michalke
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Blütenblätter brauchst du jetzt nicht mehr. Sie sind fast braun mittlerweile, und der Schnaps hat eine helle goldene Färbung angenommen.
    Fülle den Arnikaschnaps am besten in kleine Fläschchen. Eins lässt du im Stall, eins in der Hütt’n, und eins nimmst du vielleicht mit ins Tal. Beschrifte die Fläschchen mit »Arnikaschnaps« und der Jahreszahl.
    Du kannst ihn zur Wunddesinfektion benutzen, bei Mensch und Tier. Du kannst Prellungen, Zerrungen und verstauchte Gelenke damit einreiben oder eine Mullbinde darin tränken und über Nacht als Verband um das betroffene Gelenk wickeln.
    Wenn du offene Wunden mit einem Verband verschließt, dann nie länger als ein, zwei Stunden. Es gibt viele Keime auf der Alm, und besser für die Heilung sind Schnaps und Luft.
    Vielleicht wirkst du ein kleines Wunder.
    Ich glaube, das Geheimnis aller Heilung ist Liebe. Wenn du eine Verletzung mit deinem Arnikaschnaps behandelst, dann tränkst du sie mit Liebe.
    Weil die Sonne seit drei Wochen hinter einer blickdichten Regenwand verschwunden ist, hat Annika den Schnaps über den Ofen gestellt. »Noch nicht ganz fertig«, sagt sie. »Mistkacke.« Sie nimmt eine Flasche und stürmt auf das Kalb zu. Das tänzelt völlig außer sich an seiner Kette herum. So kann man keinen Schnaps draufschütten. »Irmi, steh!«
    Aber die Irmi sagt, ihr spinnt wohl. Ich seh genau, dass ihr mich umbringen wollt .
    Also werden wir gaaaanz ruuuuhig. »Feeeeeine Irmi.« Und umzingeln sie gaaanz laaangsam. Sie bleibt stehen. Annika wirft mir einen Blick zu. Und auf dieses Kommando klemmen wir das Kalb zwischen uns und die Stallwand. Zwei Schraubstöcke, weiblich, Single, zusammen 124 Kilo, halten 200 Kilo Kalb im Schwitzkasten.
    Wir warten, bis das Bein zwei Sekunden ruhig steht. Schnaps drauf. »Möööh!« Und fertig.
    »Guad is ganga«, sage ich.
    »Ja.« Wir binden die arme Irmi los, und sie schießt aus dem Stall. Entkommen!
    In Annikas Blick lodert immer noch der Zorn. Weil’s aussichtslos ist, zum Teil, hier heroben. Ständig ist irgendwas. Kälber brechen durch den Zaun, tun sich weh und turnen zwischen den Latschen im Eiskeller rum. Mittlerweile weiß ich ja, dass man dort abstürzen kann. Und ihr Bauer hat kein neues Blauspray gebracht, als sie drum gebeten hat. Und die Woche davor keine Zaunklamperl, damit sie den abgerissenen Stacheldraht wieder festnageln kann. Und die Woche davor kein Elektroband, damit sie die steilen Dolinenlöcher umzäunen kann, nachdem eine zweijährige dicke Koim dort um ein Haar kopfüber dringesteckt wäre, weil sie ihren neugierigen Rüssel zu weit vorgestreckt und ihr eigenes Gewicht unterschätzt hat. Und überhaupt.
    »Ich mach mal ’n Kaffee, hm?«, frage ich.
    »Ja!«
    Das Feuer ist ausgegangen. Ich geh Holz holen, um einzuheizen.
    Annika begutachtet das Chaos im Glumpkammerl. So kann sie’s nicht lassen. Sie wird’s aufräumen müssen, das ganze Graffe. Die Glumpgeister werden Party feiern heute Nacht.
    Das Wasser im Kessel auf dem Herd braucht ewig, bis es kocht. Der Nebel drückt sich von oben in den Kamin. Alles ist kalt und klamm, sogar das Feuer. Ich stelle zwei Stühle direkt vor den Ofen, hol zwei kratzige Wolldecken aus dem Matratzenlager und warte. Auf mehr Zug im Kamin. Auf Wärme. Auf den Kaffee.
    In weiser Voraussicht habe ich eine Flasche voll Milch und einen halben Zucchinikuchen von der Ami mit raufgenommen. Denn Annika war seit zwei Wochen nicht im Tal, und bei dem Wetter kann sie’s vergessen, dass jemand vorbeikommt und ihr frische Brezen bringt.
    »Ich hol die Kälber rein!«, sagt Annika, donnert die Tür zum Glumpkammerl zu und verschwindet im Nebel.
    Zehn Minuten später hör ich das helle Kling-Kling der Kälberglocken. Ich frage mich, woher sie immer weiß, wo ihre Kälber sind.
    »So ’n Gefühl«, sagt sie. Mehr nicht.
    Wir setzen uns vor den Ofen, eingehüllt in Wolldecken, die Füße auf dem offenen Backrohr.
    »Wann geht’s ’n ihr morgen?«, frage ich.
    »Um elf.«
    Wir trinken unseren Kaffee. Ich hab Milchschaum mit dem Schneebesen geschlagen. Das hilft normalerweise immer. Gegen Heimweh, Herzschmerz, Einsamkeit. Aber heute muss ich dazu noch drei Löffel Zucker reinschütten.
    Ahhh ...
    Annika verdreht die Augen. »Gefühle hat man!«, sagt sie. »Die dürfen doch da sein. Die muss man doch nicht in Milchkaffee ertränken.«
    Ich schüttle den Kopf. Nein, muss man nicht. Aber am besten, ich trink den pappsüßen Milchkaffee auf Ex aus und danach gleich noch einen. Und

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