Auf all deinen Wegen - Lene Beckers erster Fall (Lene Becker ermittelt) (German Edition)
Wasser glitt, erreichte Lene wie eine tiefe Freude.
Mike fü hrte sie ins Sea Lions Restaurant und sie bekamen einen Platz direkt am Fenster. So konnten sie während des Essens die Seelöwen beobachten.
Wie es oft bei Tieren ist, strahlten sie in ihrer selbstverständlichen Zufriedenheit eine tiefe Ruhe und Gelassenheit aus. Wie mein Perugio, wenn er laut schnurrend auf meinem Schoß liegt, oder Rossini, wenn er in der Sonne auf seinem Lieblingsplatz am Fenster döst, dachte sie. Während des Essens versuchten sie das gerade Erlebte auszuklammern, aber beim Kaffee kam Mike dann darauf zurück.
» Sie müssen unbedingt das Protokoll des Verhörs von Fred Masters lesen. Danach kann es gar nicht zu diesem Zeitunterschied gekommen sein. Was versucht er uns nur für einen Bären aufzubinden?«
Er hatte die Stirn gerunzelt und seine Augen ä rgerlich zusammengekniffen. Dann erzählte er ihr die Geschichte, die Masters heute Morgen erzählt hatte.
» Das ist ja unglaublich. Wie dumm von ihm. Und Sie wollen ihn jetzt verhaften lassen?«
Mike nickte. Aber dann sprach er sehr lebhaft und seine Hä nde unterstrichen seine Sätze.
» Ja, obwohl ich immer noch denke, dass er nicht der Typ dafür ist, die Frau, die er offensichtlich liebt, zu töten. Das müsste einen anderen Grund haben als Eifersucht. So kurz vor der seit langem vorbereiteten Hochzeit – ich weiß nicht. Das ist doch alles nicht gerade sehr logisch.«
» Wer könnte denn jetzt noch helfen? Von wem erhoffen Sie sich Genaueres? Wen wollen Sie noch befragen.«
» Auf jeden Fall den Zwillingsbruder, so bald wie möglich. Dann Iris, die Freundin von Fred Masters. Vielleicht gibt es ja noch andere Freunde von den beiden, die etwas wissen könnten. Spannungen, jemand, der sie verfolgte. Irgendwas. Ich würde einen Raubmord fast ausschließen. Erst als letzte Möglichkeit in Betracht ziehen. Und später die Eltern von Marc, dann die Eltern von Joanne und ihren Bruder in Bakersfield. Wo ist der andere Bruder noch? In Iowa?« –und als Lene nickte – »Na, das ist zu weit, um schnell hierherzukommen und einen Mord zu begehen.« Als er Lenes verwirrte Augen sah, lächelte er. »Das war doch nicht ganz ernst gemeint. Vielleicht haben wir ja Glück und sie hatte zu dem anderen Bruder hier, dem in Bakersfield, ein besonders enges Verhältnis. Aber ich dachte, das machen wir zusammen. Sie werden ja sowieso zu Ihren Verwandten fahren – sicher spätestens zur Beerdigung. Ich muss natürlich die offizielle Seite vertreten, aber Sie haben mehr Möglichkeiten. Und dann müssen wir eben sehen. An die Namen anderer Freunde kommen wir sicher über Marcs Bruder, der ja mit ihnen studiert hat.«
» Ja, John. Nach den E-Mails waren sie alle drei viel zusammen.«
» Können Sie mir die E-Mails bitte auch mitbringen? Vier Augen sehen mehr als zwei. Und ich möchte auch wissen, mit wem ich es hier zu tun habe.«
Lene war einen Augenblick unbehaglich zu Mute. Zu sehr hatten di ese E-Mails sie berührt. Aber die Kommissarin in ihr meldete sich streng und fragte, was das für ein unpassender Gedanke wäre. Immer besser verstand Lene, warum Polizisten, die das Opfer näher gekannt haben, sofort von dem Fall abgezogen wurden. Auf der anderen Seite hatte man dann eher Insiderwissen. Was wiederum nützlich war.
Also mussten die emotionalen Momente aus der Ermittlung drauß en bleiben und sich auf das Privatleben beschränken. Toll, Lene, dann mach das mal, dachte sie. Laut sagte sie:
» Natürlich, ich bringe sie Ihnen morgen mit.«
Erst da bemerkte sie, dass sie in diesem Satz wie selbstverständlich vorausgesetzt hatte, dass sie auch weiterhin zusammenarbeiten würden, dieser Kommissar und sie. Auch er hatte es offenbar bemerkt. Lächelte.
Kapitel 13
Sie fuhren zur Filbert Street. Lene war entzü ckt von der Umgebung, durch die sie unmittelbar vorher fuhren. Steile Straßen, die zum Meer hinunterzustürzen schienen, viel steiler als es von unten ausgesehen hatte. Wie im Film, dachte Lene und hatte unzählige Verfolgungsjagden vor ihrem inneren Auge, aber ganz besonders die Szene mit der Riesenglasscheibe aus »Is’ was, Doc?«. Die war für sie immer der Inbegriff von Slapstick gewesen, da die Katastrophe jedes Mal erwartet wurde und nie stattfand. Aber das jetzt einem Einwohner der Stadt zu erzählen, wäre zu platt.
Das Haus, vor dem sie hielten, sah von außen völlig normal aus. Erdgeschoss und zwei Etagen. Das Auffallendste war eine Feuerleiter, die zum ersten
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