Auf all deinen Wegen - Lene Beckers erster Fall (Lene Becker ermittelt) (German Edition)
ein Irrtum? Die Schüsse hat er ja nur gehört, war nicht dabei. Sagt er zumindest. Na, prima. Verdammt, was ist hier bloß passiert? Solche Einschüsse passieren meist, wenn vorher ein Gerangel stattgefunden hat. Das findet aber nicht bei Selbstmord statt, nicht wahr Bill? Oder hast du schon mal einen Fall gehabt, wo einer mit sich selbst rangelt? Und dass in dieser Wohnung schon früher geschossen wurde, ist ja höchst unwahrscheinlich, oder?«
Mike war jetzt doch sarkastisch und wieder wü tend. Bill Edwards schnaubte.
» Nun hör mal endlich auf, Mike. Ich hab einen Fehler gemacht. Es ist ja auch kein Wunder, bei über dreihundert Morden im letzten Jahr, dass man glücklich ist, wenn ein Fall mal so klar scheint. War falsch, aber ich bin doch auf deiner Seite. Und Selbstmord können wir wohl ausschließen, außer er hat hier schon auf die Kleine geschossen und das nach oben, wie über ihren Kopf. Ich gebe dir recht, das ist unwahrscheinlich.«
Lene war beeindruckt von Edwards ’ Offenheit und der Geradlinigkeit im Eingestehen seines Fehlers. Plötzlich fühlte sie nun doch eine Sympathie für diesen Mann. Verstand ihn etwas besser, sah den immensen Arbeitsdruck, der auf ihm lastete.
» Haben Sie die Tatwaffe schon Marc zuordnen können? Hatte Marc einen Waffenschein?«
» Ach, Ms. Becker, …«
» Lene, please«, unterbrach sie ihn.
» Lene. Okay. I´m Bill. Ja, also, mit Waffen ist es hier wohl anders als bei Ihnen. Sie können sie fast überall in großen Supermärkten kaufen, zumindest in einigen Staaten. Und natürlich über das Internet. Aber auch sonst hat jeder eine Waffe, wenn er sie haben möchte. Das ist kein Problem. Die Pistole lag auf jeden Fall neben Snyders Leiche. Und war nicht gerade was Besonderes, nur ziemlich groß. Eine Beretta, Kaliber Luger 9mm. Es fehlten drei Schuss. Die Patronenhülsen von zweien haben wir gefunden. Masters hat ja auch damals bei mir nur von zwei Schüssen gesprochen. Wir dachten, der dritte, beziehungsweise erste Schuss war früher einmal abgegeben worden. Und es waren die Fingerabdrücke von dem toten jungen Mann drauf. Hab ich ja schon gesagt.«
» Und nur seine Abdrücke? Keine alten, überlagerten Fingerabdrücke, die anders lagen als die, die er zum Abdrücken brauchte?«
Lene spü rte, wie sie jetzt vorwärts drängte. Mehr wissen wollte, in ihrem eigenen Tempo.
» Nein, keine alten. Er muss `n reinlicher Mensch gewesen sein.«
Bill merkte wohl, dass der Augenblick nicht für solche ironischen Scherze geeignet war. Zu Lene gewandt, grinste er verlegen. Wurde dann ernst.
» ’tschuldigung. Sie haben Recht, er hätte sie ja kaum erst gründlich abgewischt, bevor er abdrückte. Sieht doch nach einem anderen Mörder aus. Na, dann woll’n wir mal.«
» Und die Nachbarn?«
» Masters sagt, die sind schon seit einem Monat verreist. Nach Hawaii. Und unten haben wir noch niemanden angetroffen. Dachte ja – ach, was soll’s…«
Carl ging an ihnen vorbei zur Treppe. Er hielt das Tütchen mit der Patrone in der Hand wie eine Siegestrophäe.
» Ihr könnt jetzt oben machen, was ihr wollt. Wir sind fertig. Meine Jungs packen zusammen.«
» Was habt ihr denn am Safe gefunden? Fingerabdrücke?«
» Ursprünglich waren da natürlich welche, aber sie sind weggewischt, bis auf einen, den man wohl übersehen hat. Zumindest zur Hälfte. Vielleicht haben wir ja Glück.«
Die Mä nner verließen mit ihren Geräten und Taschen die Wohnung. Lene atmete einmal tief durch. Jetzt konnte sie sich endlich selbst ein Bild machen.
Sie gi ng hinunter, zurück zur Eingangstür. Blieb dort stehen und sah sich noch einmal das Wohnzimmer an. Es war sicher sehr gemütlich gewesen. Bilder, Drucke von Impressionisten, an den maisfarbenen Wänden. Ein dicker Teppich in warmen Rottönen auf makellosem Parkettboden. Holzregale mit Büchern, ein großer Fernseher, eine wunderschöne, sandfarbene schwere Couch mit Recamière, gemütlich, zum Faulenzen.
Aber jetzt sah man die Gewalt, die von dieser Wohnung Besitz ergri ffen hatte. Man konnte sie nicht nur sehen, sondern förmlich spüren. Der offene Safe, der nun nur ein schwarzes Loch ohne Inhalt war, wirkte wie eine Wunde. Unter dem Safe lag ein Bild, der Rahmen schien heil zu sein. Lene ging hinüber und drehte das Bild um. Es war ein Ölbild. Ein Weg, von Licht beschienen, der aus einem Wald auf eine Lichtung führte. Das Motiv war ihr vertraut. Lene schaute auf die wunderschönen Blautöne. Sophies Farben. Sie hatte es also
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