Auf all deinen Wegen - Lene Beckers erster Fall (Lene Becker ermittelt) (German Edition)
Worten wie diesen. Sie hatte plötzlich noch mehr Angst.
Nachts um zwei - sie war inzwischen auf dem Sofa eingeschlafen – kam ihr Mann hereingestürmt. Endlich! Sie fiel ihm in die Arme und konnte ihre Tränen der Erleichterung nicht zurückhalten. Georg hielt sie fest, die Wärme seines Körpers beruhigte sie.
» Komm, es wird schon alles gut. Jetzt geht es endlich los. Ich darf aber gar nicht hier sein, wollte dir nur schnell sagen, dass wir Flugblätter verteilen. Sie haben uns dafür vom Bier weggeholt.«
Seine Stimme klang stolz. Er wurde gebraucht in dieser groß artigen Sache, dem Krieg. Dem Abenteuer.
» Ich komme sobald wie möglich wieder. Ich muss jetzt zurück.«
Er machte sich sanft aus ihren Armen los – und weg war er. Nach zwei Tagen in der Kaserne, in denen die frisch Rekrutierten nicht nach Hause durften, ging es gleich zum Bahnhof. Der Aufbruch nach Frankreich. Elise war mit anderen Frauen dorthin gerannt, so spät hatten sie erst die Nachricht erhalten. Sie hatte noch seine Lieblingsbonbons in der Hand, die sie ihrem Georg mitgeben wollte. Dort hinten – da war er. Mit Michel neben sich. Sie rief und winkte. Aber er konnte sie in dem Trubel nicht hören. Sie stolperte vorwärts – und wurde von strengen Ordnungskräften festgehalten.
» Nein, hier geht es nicht mehr durch, junge Frau « , klang es streng und auch ein bisschen gutmütig. »Er kommt ja bald wieder! In zwei Wochen, spätestens drei.«
Georg war in einem Abteil verschwunden. Er konnte doch n icht ohne Abschied fahren! Da fuhr der Zug schon an. Da – sie sah noch sein Gesicht am Fenster – er hatte sie gesehen. Lächelnd winkte er ihr zu.
Adieu, Georg!
Sie sollte ihn nie mehr wiedersehen.
Er fiel in Frankreich im Januar 1915.
Kapitel 29
Sophie saß inzwischen mit angezogenen Beinen auf Lenes Bett. Ihr Big Shirt ließ sie seltsamerweise gerade durch die Größe sehr zart erscheinen. Der Ansatz ihrer Brüste betonte ihre Weiblichkeit. Lene war berührt durch ihre Jugend und Verletzlichkeit. Sie und Joanne und Elise, alle drei im selben Alter. Und sie sah wieder das kleine Bild bei ihrer Großmutter vor sich, auf dem sich ein Soldat von einer jungen Frau verabschiedete. Au revoir stand darunter. Das Bild des französischen Soldaten in der gleichen Situation.
» Und weiter? Du träumst, Lene.«
» Stell dir vor, Elise war zu diesem Zeitpunkt 27, genauso alt wie du und Joanne jetzt. Daran habe ich gerade gedacht.«
» Und wie ging es weiter?«
» Elise hat nach ein paar Jahren wieder geheiratet. Einen Brauereibesitzer in der Nähe von Bamberg, der aber starb als sie zweiundfünfzig war. Und stell dir vor, die Jugendliebe, der Lehrer, hat sie später bis sie neunzig war besucht, immer, wenn er in die Nähe ihres Dorfes kam.«
» Und die letzte Tochter?«
» Die Jüngste – Anni … Ja, sie hatte wohl das dramatischste Leben. War Dorothea die Fromme, Elise die warmherzige und fröhliche, Marge die Intellektuelle, so war Anni die Lebenslustige.«
16.Oktober 1920
Anni schaute in den Spiegel. Ihre Augen waren rot vom Weinen. Ein einziger Albtraum war das gestern gewesen – ihr Hochzeitstag! Wie grausam kann das Leben eigentlich sein, fragte sie sich. Gustav, der Mann, den sie liebte, war seit fast drei Monaten in einer Garnison in der Nähe von München und hatte nicht einmal geschrieben!! Kein Lebenszeichen. Und sie war so unglücklich deshalb! Und dann war vor vier Wochen Lona, ihre Mutter, eines Abends in ihr Zimmer gekommen. Sie hatte sich zu ihr an das Bett gesetzt, ihre Hand genommen und sie sehr ernst angesehen.
» Ich war heute beim Arzt, Anni. Ich bin schwer krank. Ich muss sehr bald sterben.« Anni hatte aufgeschrien und sich in die Arme der Mutter gedrückt.
Nein, doch nicht du, Mutter!
Aber Lona hatte sie nicht beruhigen können, so wie sonst immer, sie hatte sie nur noch fester gehalten.
» Mein Wildfang, ich mache mir solche Sorgen um dich. Ich weiß ja schon länger, dass es bald sein wird, aber seit heute weiß ich, dass mir nur noch sehr wenig Zeit bleibt. Nur, ich kann erst gehen, wenn ich dich versorgt weiß. Du musst jetzt vernünftig sein und mir diese Sorge abnehmen und - heiraten.«
» Ja, ich tue ja alles, was du willst, Mutter, aber der Gustav ist doch noch fort… «
» Nicht den Gustav. Der hat dich sicher längst vergessen, sonst hätte er dir ja geschrieben. Nein, vergiss ihn! Der Heiratsbitter, du weißt, der, der Ehen vermittelt, war gestern hier und er weiß einen Mann für
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