Auf all deinen Wegen - Lene Beckers erster Fall (Lene Becker ermittelt) (German Edition)
einem kleine n Ort, der aus einer Missionsstation entstanden war, machten sie Pause zum Lunch. Ein mexikanischer Laden, ein mexikanischer Imbiss – der Ort war wirklich nicht gerade verwöhnt. Aber als sie dann noch einen Kaffee tranken und der Wirt zu ihnen kam, wurde für sie deutlich, dass die Menschen es so liebten, wie es war. Er war sogar aus Los Angeles hierher gezogen, um seine Kinder aus dem kriminellen Umfeld dort herauszuholen.
» Natürlich verdiene ich hier weniger – aber wir sind viel zufriedener. Fahren Sie bloß nicht in die Stadt hinein. Das ist für zwei europäische Frauen, die sich nicht auskennen, viel zu gefährlich.«
» Wie schrecklich, wenn man in eine Stadt nicht mehr hinein kann, ohne Angst zu haben, dass einem etwas passiert. Und in San Francisco sollten wir ja auch nicht allein auf die Straße nach acht Uhr abends. Hast du vorgestern Abend gesehen, dass vor unserem Hotel nachts ein bewaffneter Wachmann stand? Ich hoffe, dass es bei uns in Deutschland nie soweit kommt.«
Lene dachte an die Polizeistatistiken von einigen Großstätten und war sich nicht sicher, ob es nicht in einigen Städten auf dem Weg war Realität zu werden. Die Sonne hatte sich wieder durchgekämpft und ließ die Landschaft, durch die sie jetzt fuhren, in einem so strahlenden Grün aufleuchten, dass sie einfach beide verzaubert waren. Riesige Filmstarvillen lagen an der sich gemächlich durch die Berge schlängelnden Straße, die gar nichts Glamouröses an sich hatte. Schlichte Tore und Mauern ließen nur manchmal den Reichtum des weit hinten herüber lugenden Hauses erkennen. Vierstellige Hausnummern. Mulholland Drive. Straße der Intellektuellen, Künstler und Filmstars.
»Sieh nur 3333 – was für eine Hausnummer.«
Nach jeder Kurve schien sich die Landschaft zu verä ndern, bis sie schließlich kurz vor dem Austritt ins Tal noch einmal richtig schroff und karg wurde. Braune Erde – und selbst darin wurde gerade eine Riesenvilla gebaut.
» Ich hätte so gern den Strand vor Santa Monica gesehen. Da müssen so prächtige Villen stehen, aber na ja…«
Es war irgendwie a lles nicht so wichtig. Wichtig war jetzt, als sie sich Bakersfield näherten, eigentlich nur noch die Familie. Auch Fred hatte eine Familie.
Irgendetwas stö rte Lene. Sie wusste nicht, was sie übersehen hatte. Aber da war etwas. Wenn sie nur die beiden Ordner ganz hätte durchsehen können! Dass sie aber auch so müde geworden war gestern! Und heute ging es nicht – sie musste einfach Geduld haben. Na, nicht gerade deine stärkste Seite, Lene.
Das Handy klingelte. Sophie nahm ab. Es war John. Er war mit den Elter n gerade in Bakersfield angekommen. Fred, Iris und Sarah würden spät in der Nacht mit Ben kommen, der gleich nach seiner letzten Vorlesung losgefahren war. Hotelzimmer waren besorgt.
» Treffe ich euch nachher noch?«
» Wir müssen erst einmal ankommen und sehen, wie es den anderen geht«, ließ Sophie es noch offen.
In Bakersfield ließ en sie sich von Will den Weg beschreiben und fanden das Haus gleich, angrenzend an den Golfplatz. Lene holte tief Luft. Eine wunderschöne wie ein offenes U geschwungene Auffahrt führte zum Haus hin und im Halbrund am Haus vorbei an der anderen Seite wieder hinaus. Das Haus selbst vermittelte den Eindruck von Wohlhabenheit, die Würde hatte. Nichts daran war protzig. Rechts neben dem Haus eine Baumgruppe mit einer steinernen Mädchenstatue voller Anmut. Das gab Lene einen Stich, da sie sofort an Joanne dachte.
Ihr Onkel ö ffnete die Tür. Er sah ihr prüfend in die Augen und nahm sie dann mit einer so warmen, wieder erkennenden Geste in die Arme, dass es war, als würde sie nach langer Abwesenheit nach Hause kommen.
Ihre Tante, klein und zierlich, schien noch winziger geworden zu sein. Ihre groß en hellen Augen füllten sich mit Tränen, als sie Lene umarmte.
» Es tut so gut, dass ihr da seid«, sagte sie leise.
» Sophie, du siehst Joanne ja immer ähnlicher.«
Lene hö rte den Schmerz aus ihrer beider Stimme, die Überraschung und die Wärme.
Da drä ngte sich Matthew vor.
» Rutscht mal, ich will auch meine schöne Cousine und meine schöne Nichte begrüßen«, und nahm sie beide gleichzeitig und herzlich in die Arme. Lene mochte ihn sehr, sie sah in ihm immer auch den kleinen Jungen mit den leuchtend blauen Augen wieder. Der in Nürnberg eine Lederhose bekommen hatte. Sie gingen in die kleine Bibliothek – »… to have our Highballs« – wie Will es ausdrückte. Lene
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