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Auf Amerika

Auf Amerika

Titel: Auf Amerika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Schroeder
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trägt mein Vater nie eine Krawatte. Meine Mutter muss, wenn die Oma bei uns ist, Strickjacken oder Kleider tragen, die die Oma, was sie auch sagt, in Berlin unmöglich mehr tragen kann. Hier auf dem Dorf ist das immer noch gut genug, meint sie, weil ja hier die Modeneuheiten nicht ankommen. Da kann die Mutter, sagt sie, die Sachen gut auftragen. Ich kriege jedes Jahr zu Weihnachten einen Tierkalender, auf dem draufsteht: Berliner Bank. Da hat sie, sagt mein Vater, ihr Geld liegen, den Kalender kriegt sie von der Bank geschenkt.
    Die Oma ist groß, hager, hat weiße Haare, die sie auf dem Kopf zu einem Knödel zusammengebunden hat. Da, wo die Lammermutter einen Busen hat, an den sie den Brotlaib drückt, um mit einem langen Messer gleich große Scheiben abzuschneiden, hat die Oma nichts. Das ist bei meiner Mutter und ihren Schwestern auch so, das haben sie von der Oma geerbt. Die Oma hat Rosszähne, und wenn sie schimpft, habe ich Angst, dass sie mich beißt. Obwohl sie immer nach Parfum riecht, ist mir die Oma eklig. Bei den von ihr eingeforderten Gutenacht- und Gutenmorgenküssen mache ich mich ganz steif. Sie riecht alt.
    Die Lammermutter, die fast so alt ist wie die Berliner Oma, riecht nicht alt. Sie riecht nach dem Holzfeuer, das sie macht, nach dem, was sie kocht, nach den Äpfeln, die auf einem langen Tisch in der Stube gelagert sind, nach den Dampfkartoffeln für die Schweine, nach Weihwasser, nach dem Krautgarten vor dem Haus, nach Butter und Schmalz. Das sind neben denen der Schreinerei die Gerüche, die ich liebe. Mein Vater riecht nach Bier, Zigaretten und Rasierwasser. Meine Mutter riecht immer nach der Seife, die wir alle benutzen, weil wir sie umsonst kriegen, und zwar vom Onkel Karl, der als Rechtsanwalt für einen Seifenhersteller arbeitet und anscheinend mit Seife bezahlt wird. Karl und Barbara verteilen die Seifen über die ganze Verwandtschaft. Nur die Berliner Oma lehnt die Seife ab. Die ist ihr, wie Tante Ruth sagt, nicht gut genug, denn sie nimmt nur französische Seifen. In der Zeit, als es bei uns noch nicht nach Hühnerscheiße und Fischmehlhühnerfutter roch, war der Geruch der Seife in unserem ganzen Haus. Der Veit, den ich auch gerne rieche, riecht wie alle Wirtschaften, die eine eigene Metzgerei haben, nach Schlachthaus und Bier, nach warmem Blut, Malz und Hopfen, nach Blut- und Leberwürsten.
    Mein Vater redet das ganze Jahr nur schlecht über seine Schwiegermutter. Aber wenn sie bei uns ist, diese zwei elenden Wochen, ist er höflich und rücksichtsvoll und zuvorkommend. Er geht dann nicht über die Dörfer, nicht einmal nach Hetzenbach, und auch in unsere Wirtschaft geht er nicht. Und er benimmt sich bei Tisch, was er zum Kummer meiner Mutter sonst nicht tut. Meine Eltern sind in der Zeit freundlich miteinander, sie streiten nicht und tun alles dafür, dass es der Berliner Oma gutgeht. Und wenn die Oma von ihrem Schwiegersohn Karl, dem Rechtsanwalt schwärmt, der so tüchtig ist, so gebildet, so erfolgreich, dann schweigen meine Eltern. Ich weiß, dass die Oma meinen Vater eigentlich verachtet, weil er nicht wie andere beruflichen Erfolg hat, weil er uns nur recht und schlecht ernähren kann. Und ich begreife auch, dass wir dieses Schuhschachtelhaus, das meine Oma wie meine Mutter auch hässlich findet, nie hätten bauen können, wenn die Oma nicht immer wieder finanziell geholfen hätte. Dass sie das meinen Eltern ständig vorhält und so tut, als sei es eigentlich ihr Haus und nicht, wie mein Vater immer sagt, das Haus der Raiffeisen, ist selbstverständlich. Und weil das so ist, müssen wir uns einmal im Jahr so benehmen, wie es die Oma für richtig hält. Schon Tage vorher werden Tischsitten geübt, wird festgelegt, worüber man reden darf und worüber nicht, welche Wörter man sagen darf und welche nicht und dass man nicht fluchen darf und dass man essen muss, was auf den Tisch kommt. Das Schwierigste ist für mich, beim Essen nicht den Ellbogen auf den Tisch aufzustützen, was nicht einmal mein Vater richtig kann, obwohl er viel größer ist als ich. Die Oma achtet darauf sehr, und sie sticht einem mit der Gabel in den Ellbogen, wenn man ihn aufstützt. Elfriede, sagt sie manchmal zu meiner Mutter, du musst besser darauf aufpassen, dass dir die Männer hier nicht verlottern. Der Junge soll doch kein Bauer werden.
    Was ist verlottern?, frage ich meinen Vater einmal.
    Das weiß ich auch nicht, sagt er.
    Was willst du denn einmal werden?, fragt die Oma.
    Schreiner.
    Um Gottes

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