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Auf Bewährung - mein Jahr als Staatsanwalt

Auf Bewährung - mein Jahr als Staatsanwalt

Titel: Auf Bewährung - mein Jahr als Staatsanwalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Pragst
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Festnahme, dem Ermittlungsrichter vorzuführen ist, damit |114| ein Richter entscheiden kann, ob die Freiheitsentziehung fortgesetzt werden soll. Wird ein Beschuldigter also am Freitagabend aufgegriffen und soll er wegen eines dringenden Tatverdachts und Flucht- oder Verdunklungsgefahr in Haft bleiben, so muss darüber ein Richter bis spätestens Sonnabend 23.59   Uhr entscheiden. Deshalb ist es erforderlich, dass einige Richter am Wochenende erreichbar sind. Gleiches gilt für Staatsanwälte, welche die Untersuchungshaft bei dem Ermittlungsrichter beantragen.
    Auch wenn es nicht um die Frage geht, ob jemand verurteilt wird oder nicht, hat die Entscheidung über die Anordnung der Untersuchungshaft erhebliche Bedeutung. Es kommt immer wieder vor, dass Beschuldigte den Hauptverhandlungstermin in Untersuchungshaft abwarten müssen und dann freigesprochen werden. Eine mehr als unangenehme Sache für den – letztlich zu Unrecht   – Beschuldigten. Er kann dann zwar nach einem Haftentschädigungsgesetz einen finanziellen Ausgleich verlangen. Die Beträge werden nach festen Tagessätzen berechnet und können die erlittenen Schäden, was die Psyche und das Ansehen im Familien- und Freundeskreis anbelangt, nicht wirklich kompensieren. Abgesehen von nachgewiesenen Vermögensschäden wurde zu meiner Zeit pro angebrochenem Tag ein Betrag von elf Euro gezahlt.
    Andererseits tauchen Beschuldigte, die nicht in Untersuchungshaft genommen werden, häufig unter und versuchen sich so der Strafverhandlung zu entziehen. Nach ihnen muss dann mit erheblichem Aufwand gefahndet werden. Manchmal bleiben sie auch für immer verschwunden.
    Ich begann meinen Dienst am Samstag um 10   Uhr in den Räumen des Bereitschaftsgerichts. Dort erwartete mich |115| bereits ein größerer Stapel Ermittlungsakten, und gleich das erste Verfahren hatte es ziemlich in sich. Zwei junge Männer im Alter von 22 und 23   Jahren aus Berlin-Marzahn, einem Bezirk am östlichen Rand der Stadt, waren ganz dick ins Drogengeschäft eingestiegen. So heftig, dass die Beamten des mobilen Einsatzkommandos, welches die beiden observierte, an den Abhörgeräten riesige Ohren bekamen. Der Handel lief nur noch in Größenordnungen von Kilogramm. Ein Kilogramm Haschisch hier, ein Kilogramm Marihuana da, und das eine oder andere Kilogramm Heroin war auch dabei. Schon beim Lesen der Ermittlungsakte konnte einem schwindlig werden. Und es war nicht erkennbar, wie die beiden da hineingeraten waren. Sicher, ihre Bundeszentralregisterauszüge waren nicht völlig leer. Beide hatten Jugendstrafen erhalten. Dies betraf jedoch Fälle wie Ladendiebstahl, Erschleichen von Leistungen (Schwarzfahren) und Besitz geringer Mengen Betäubungsmittel (das konnten Partydrogen oder Ähnliches sein). Man konnte nicht sagen, dass das Nichtigkeiten waren. In einer Großstadt wie Berlin sind derartige Vorstrafen jedoch nichts Ungewöhnliches. Es deutete jedenfalls nichts darauf hin, dass die beiden einen der großen Fahndungserfolge des Drogendezernats im laufenden Jahr darstellen würden.
    Nachdem die Polizei mitbekommen hatte, dass die beiden soeben Betäubungsmittel in den oben genannten Größenordnungen von Lieferanten übernommen hatten, entschloss sie sich zum Zugriff.
    Sie wurden während der Fahrt auf der Autobahn durch ein Sondereinsatzkommando festgenommen. Der schnelle und harte Eingriff hätte der Fernsehserie über die Autobahnpolizei ›Alarm für Cobra 11‹ alle Ehre gemacht.
    |116| Manchmal, wenn die Täter als sehr gefährlich und stark bewaffnet eingeschätzt werden, entscheidet man sich, diese während der Autofahrt zu überwältigen, weil dann die Gefahr sinkt, in einen Hinterhalt zu geraten. Die Einsatzkräfte können sich darauf konzentrieren, was im Innenraum des Fahrzeugs passiert. Da werden Autos ausgebremst, seitlich gerammt oder in die Leitplanke einer Autobahn abgedrängt.
    Sie fanden zwei Kilogramm Haschisch und ein Kilogramm Marihuana in einem Rucksack im Kofferraum. Konnte man den Ermittlungsakten Glauben schenken, so waren die Beschuldigten von dem Zugriff im wahrsten Sinne des Wortes »überwältigt«. Es gab keinerlei Gegenwehr und beide weinten vor Schreck. In der anschließenden Vernehmung zeigten sich beide reumütig und geständig. Einer erklärte unter Tränen, dass er nach Hause zu seinen Eltern wolle. Ob die Männer vom Sondereinsatzkommando entsprechend einfühlsam reagieren konnten, ergab sich aus der Akte nicht. Sie waren ja eher auf harte Typen trainiert

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