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Auf Bewährung - mein Jahr als Staatsanwalt

Auf Bewährung - mein Jahr als Staatsanwalt

Titel: Auf Bewährung - mein Jahr als Staatsanwalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Pragst
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niemand für einen Euro oder die Benutzung der Playstation so etwas mit sich machen lassen. Mir wurde richtig übel. Für mich war er so schuldig wie die Nacht schwarz ist. Aber auch der Ermittlungsrichter hatte die Aussagen der Kinder genau gelesen und ordnete die Untersuchungshaft an. Der Beschuldigte erklärte lauthals, dass dies nicht ginge und er jetzt einen Verteidiger wolle. Der Richter zeigte eher kühl auf ein Formular, auf dem Telefonnummern des Anwaltsnotdiensts standen. Gleichzeitig fragte er, ob eine Haftprüfung beantragt werden solle, was der Beschuldigte bejahte.
    Nicht allen Beteiligten gelang es, auf die Tatvorwürfe äußerlich emotionslos zu reagieren. Als der Gerichtswachtmeister den Beschuldigten abführte, meinte er zu ihm, er solle in der Untersuchungshaft nur sagen, warum er da wäre. Man würde sich dann schon um ihn »kümmern«. In dem Moment schaltete sich der Richter nochmals ein und meinte zum Beschuldigten, dass er das besser bleiben lassen solle.
    In der Haftanstalt gibt es nämlich unter den Häftlingen klare Hierarchien, die auch mit den Tatvorwürfen zu tun haben. Ganz oben stehen besonders »intelligente« Täter, denen beinahe ein Coup mit dem ganz großen Geld ohne jegliche Gewaltanwendung gelungen wäre. Die Tatvorwürfe jedoch, die dem Beschuldigten gemacht wurden, rangieren ganz unten. Viele Häftlinge sind selbst Familienväter. Täter, die wegen sexuellen Missbrauchs Minderjähriger verhaftet oder verurteilt werden, haben es da oft nicht einfach.
     
    |120| Gern hätte ich erfahren, was später im Strafverfahren gegen diese Beschuldigten herauskam. Allein die Zeit fehlte. Kam ich in mein Zimmer, vertiefte ich mich sofort in die dort reichlich vorhandenen Ermittlungsakten, versank darin, immer die nächste Akte schon im Blickfeld. Keine Zeit für die zurückliegenden Fälle, die einer nach dem anderen durch eine imaginäre Hintertür mit der Überschrift »Erledigt« verschwanden und dort in einer grauen Masse versackten.

|121|
Überraschende Wende
    D er Tag der Urteilsverkündung war gekommen. Sinan wurde, wieder über den mittlerweile verhassten Innenhof des Gerichts, in den Verhandlungssaal des Landgerichts Chemnitz, Große Strafkammer, gebracht. Er würde keine neue Fluchtchance erhalten. Die Wachtmeister waren jetzt zu dritt, seine Hände waren mit Handschellen gefesselt und man hatte ihm eine Fußkette angelegt. Alle Zeugen waren gehört worden. Die zuständigen Polizeibeamten, die Angestellten des Ladens und schließlich der Inhaber selbst. Eine Sachverständige hatte ihr schriftliches Gutachten zu den gefundenen DN A-Spuren erläutert. Es folgten die Abschlussplädoyers. Der Staatsanwalt forderte acht Jahre Freiheitsstrafe! Sinan ließ alles über sich ergehen. Nach dem gescheiterten Fluchtversuch war er wie betäubt. Er selbst hatte sich, nach Beratung mit seinem Verteidiger, nicht zum Tatvorwurf geäußert.
    Er saß auf der Anklagebank und wartete. Jetzt kam das Gericht aus dem Beratungszimmer und nahm Aufstellung. Alle erhoben sich, Sinan in Erwartung der Verurteilung. Doch was dann passierte, überraschte alle. Das Gericht sprach ihn auf Kosten der Staatskasse frei! Die Gründe bekam Sinan aufgrund seiner Freude gar nicht richtig mit. Sein Verteidiger erklärte sie ihm später. Im Laufe des Ermittlungsverfahrens war ein kleines Missgeschick passiert. Das zuständige Polizeidezernat |122| hatte ja Teile eines Handschuhs an der Handschelle gefunden, mit der ein Opfer an den Heizkörper gefesselt worden war. Anschließend wurde dieses Stück fein säuberlich in eine Plastiktüte verpackt und selbige verschlossen. Der zuständige Polizeibeamte vermerkte auf der Tüte das Aktenzeichen des Raubüberfalls und die Bezeichnung »Handschuhrest«. Im Labor wurde das Material dann erfolgreich auf DN A-Spuren analysiert und die Untersuchung in einem Gutachten penibel erläutert. Nur die Reste des Handschuhs gab es danach nicht mehr. Entweder waren sie verloren gegangen oder bei der Spurensuche zerstört worden. Die Untersuchung lag schon Jahre zurück, sodass die Sachverständige darüber keine Auskunft mehr geben konnte. Sie versicherte jedoch, dass sie selbstverständlich nur die Probe aus der Plastiktüte entnommen und untersucht habe.
    Das Gericht meinte nun, dass weder aus dem vorliegenden Foto von dem Handschuhrest noch aus der Beschriftung seitens der Polizei noch aus dem Gutachten hervorginge, ob es sich um einen Einmalhandschuh gehandelt habe. Somit könne nicht

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