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Auf Bewährung - mein Jahr als Staatsanwalt

Auf Bewährung - mein Jahr als Staatsanwalt

Titel: Auf Bewährung - mein Jahr als Staatsanwalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Pragst
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müsse das Verfahren eben gegen Unbekannt geführt werden, und er solle ihm jetzt seinen Namen und die Anschrift nennen. Völlig entgeistert schlug der Mann die Hände über dem Kopf zusammen. Auf keinen Fall könne er Angaben zu seiner Person machen. Wenn sein Name im Zusammenhang mit diesen Ermittlungen fallen würde, käme es höchstwahrscheinlich zu »unabsehbaren Reaktionen«. Trotz mehrmaliger Nachfrage war der Mann nicht bereit, ihm irgendwelche weiteren Informationen zu liefern. Er meinte nur, dass er jetzt umgehend zu dem wirklich zuständigen Staatsanwalt »durchgelassen« werden müsse. Jörg erwiderte, dass das schon deshalb nicht ginge, weil er nicht wisse, wer zuständig sei. Schließlich erklärte sich der Geheimnisträger in kapitulierendem Tonfall bereit, zwei Anhaltspunkte zu benennen. Mehr könne er aber wirklich nicht tun. Je mehr Leute Bescheid wüssten, desto höher sei die Gefahr für sein Leben. Er sah sich nochmals sichernd um, beugte sich zu Jörg hinüber, fixierte ihn mit zusammengezogenen Augen und raunte: »Rotes Rathaus, Potsdamer Abkommen.« Jörg wurde schlecht und er rang nach Luft, was aber eher an der herüberziehenden üblen Geruchswolke als an den »unglaublichen« |127| Informationen lag. Der Mann im Trainingsanzug lächelte Jörg verschwörerisch an. So, als ob er und sein Mitwisser Jörg von jetzt an durch ein furchtbares Geheimnis aneinandergekettet seien. Jörg erklärte zögernd und vorsichtig, dass er immer noch keine ausreichenden Informationen hätte, um einzuordnen, worum es letztlich ginge. Jetzt explodierte der Mann förmlich. Er fuchtelte mit den Armen in der Luft und brüllte, dass er Jörg wegen Strafvereitelung im Amt anzeigen werde, sein Verhalten eine Unverschämtheit sei und so weiter. Jörg wusste sich nicht mehr zu helfen und bat um eine kurze Unterbrechung, wobei er im Vorbeigehen in einem Akt der Notwehr unauffällig die Fenster öffnete.
    Jörg ging zu Jens ins Zimmer und fragte um Rat. Jens, der schon einige Jahre länger bei der Staatsanwaltschaft war, hörte sich die Sache an und meinte, er habe eine Idee.
    Als Jörg dem Mann wieder gegenübersaß, kaute dieser nervös auf seinen Fingernägeln herum. Jörg sah ihn vielsagend an und erklärte: »Ich habe die Sache noch mal in Ruhe geprüft. Es handelt sich um eine Ausnahmesituation. Und in einer Ausnahmesituation ist auch eine außergewöhnliche Herangehensweise angezeigt.« Er schob dem Geheimnisträger einen kleinen Zettel zu, worauf das Postfach der Staatsanwaltschaft stand. »Ich gebe Ihnen hier ein geheimes Postfach der Staatsanwaltschaft. Wenn Sie die Unterlagen dort unter Ihrem Namen einreichen, gehen sie direkt bei dem zuständigen Staatsanwalt ein.« Der Mann war mehr als zufrieden und seine Gesichtszüge hellten sich erkennbar auf. Begeistert verließ er das Zimmer. Er hatte erreicht, was er wollte.
     
    |128| Die Leute verließen lachend die Kaffeerunde. Bei Mona und mir ließ die Stimmung jedoch schnell deutlich nach. Gerlinde hatte sich noch eine Tasse Kaffee nachgeschenkt und erklärte mit gequältem Gesicht, dass die Anklagen in den Schleuserverfahren noch nicht fertig seien und die Beweismittel nochmals überprüft werden müssten. Das würde wohl bis Ende Juni dauern. Mona war stinksauer (ich erst mal nur sprachlos) und meinte: »Komm schon, Gerlinde, klag die Dinger an und brüte nicht so dicke Eier aus.« Gerlinde winkte lächelnd ab: »Es sind zwei lange Anklageschriften, Mona. Dicke Anklagen können nur aus dicken Eiern kommen.«

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Der unwirkliche Rechtsanwalt
    N ormalerweise entscheidet das Zufallsprinzip, welchem Staatsanwalt ein Ermittlungsfall zugeteilt wird. Oberstaatsanwalt Berndt ließ eingehende neue Verfahren immer der Reihe nach zuweisen. Ab und zu wählte er jedoch einen abweichenden Modus. So zum Beispiel, wenn eine Vielzahl gleich gelagerter, aber schwieriger Ermittlungsverfahren einging, bei denen die Bearbeitung in einer Hand sinnvoll war, um eine einheitliche Vorgehensweise sicherzustellen.
    In diesem Sinne wurde ich von Oberstaatsanwalt Berndt zum zuständigen Staatsanwalt für eine größere Anzahl von Sozialhilfebetrugsfällen »ernannt«. Es ging um deutsche Staatsbürger, die alle vor mehr als dreißig Jahren aus der Türkei nach Deutschland eingewandert waren, später ihre Arbeit verloren und seit vielen Jahren Arbeitslosenunterstützung oder Sozialhilfe bezogen. Im Rahmen internationaler Abkommen hatte eine türkische Bank gegenüber deutschen

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