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Auf Bewährung - mein Jahr als Staatsanwalt

Auf Bewährung - mein Jahr als Staatsanwalt

Titel: Auf Bewährung - mein Jahr als Staatsanwalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Pragst
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gehen, reagierte sie zunächst ablehnend. So kam es, dass die Anzeige erst fünf Stunden nach der Tat auf dem Polizeirevier aufgenommen wurde. Nach einer ärztlichen Versorgung, bei der auch nach Spermaspuren gesucht wurde, folgte eine mehrstündige Vernehmung durch die Polizeibeamten. Dann durfte sie nach Hause gehen. Am nächsten Tag wurde sie nochmals mehrere Stunden von der Polizei vernommen. Immer wieder die unangenehmen |163| und peinlichen Fragen, wie es genau passiert war, wer wann was gesagt hatte, ob sie dem Beschuldigten ihre Ablehnung deutlich signalisiert habe und warum sie sich nicht noch stärker gewehrt habe.
    Wie sich aus den Protokollen ergab, weinte sie bei den Vernehmungen, was sicher durch das Gefühl, die Tat ein zweites und ein drittes Mal durchleben zu müssen, ausgelöst worden war.
    Inzwischen hatte die Polizei den Beschuldigten in seiner Wohnung vorläufig festgenommen, wo er mit seiner Frau und den zwei kleinen Kindern am Frühstückstisch saß. Peter Z. wurde vor der Wohnungstür mit dem Tatvorwurf der Vergewaltigung konfrontiert. Als seine Frau später davon erfuhr, fing sie an zu weinen. Er verteidigte sich mit der einzigen Version, die ihn entlasten konnte. Er räumte alle äußeren Umstände und auch den Geschlechtsverkehr ein. Nach seinen Angaben vollzog er den Geschlechtsverkehr jedoch im Einvernehmen mit dem Opfer.
    Es war das typische Dilemma für Strafverfolgungsbehörden bei Vergewaltigungsprozessen. Im Wesentlichen gab es nur die Zeugenaussage des Opfers und die Angaben des Beschuldigten. War es da überhaupt möglich, von der Version des Opfers voll überzeugt zu sein und das vom Beschuldigten geltend gemachte Einvernehmen mit absoluter Sicherheit auszuschließen? Nur dann konnte man eine Verurteilung erwarten. Die Staatsanwaltschaft hatte den Fall jedenfalls zur Anklage gebracht und das Gericht die Hauptverhandlung eröffnet. Es lag zu viel Belastendes für eine Verfahrenseinstellung vor. Die Frage war aber, ob es für eine Verurteilung reichen konnte.
    Ich schilderte Jens den Fall und fragte ihn nach seiner |164| Meinung zu dem Prozess, der nächste Woche beginnen würde. Jens war sehr skeptisch. Vorab könne man wenig sagen. Es komme viel darauf an, wie die Zeugin auf das Gericht wirke.

|165|
Zeitvertreib in der Haftzelle
    S inan kehrte von dem Gespräch mit seinem Verteidiger in die Zelle zurück. Der hatte sich nicht auf eine Prognose hinsichtlich des Prozessausgangs festlegen wollen. Offensichtlich hatten sie seine DNA auf einer am Tatort sichergestellten Maske gefunden. Dass die DNA von ihm stammte, stand mit einer Wahrscheinlichkeit von 12   Millionen zu 1 fest. Der Verteidiger meinte, dass man auch hier wie in Chemnitz mit ständig zwischen den Tätern ausgetauschten Masken argumentieren müsse. Da die Maske aus dem Bein einer Jogginghose gemacht worden war, konnte die DNA ja vielleicht auch von dem Träger dieser Hose stammen? Außerdem hatte der Verteidiger nach intensivem Studium der Ermittlungsakte noch eine weitere Lücke entdeckt. Lächelnd weihte er Sinan ein.
    Wieder in der Zelle zurück, war Sinan alles andere als zufrieden. Er blickte jedoch halbwegs optimistisch auf den kommenden Prozess. In der Zelle ließ es sich jetzt wieder besser leben. Schließlich waren sie nur noch zu zweit. Benjamin hatte ihn mächtig genervt. Er hatte auch nach ihrer ersten Auseinandersetzung seine arrogante Art beibehalten und, wie Rainer meinte, »seinen Bildungsvorsprung raushängen lassen«. Insbesondere Rainer war deshalb mehr als sauer. Sie hatten sich daher angewöhnt, »Benni« ein bisschen zu ärgern. Das war im Übrigen, wie sich herausstellen sollte, |166| ein ganz angenehmer Zeitvertreib. Zuerst hatten sie ihn ständig mit seiner »wichtigen Rolle« in der Weltpolitik aufgezogen. Das klappte aber nur bedingt. Mehr Spaß machte es da schon, ihn nachts nicht richtig schlafen zu lassen. Rainer mochte Lieder von Tom Jones und brüllte dem schlafenden Benjamin den Refrain einiger Lieder ins Ohr. Zwischendrin gab es auch einen Becher kaltes Wasser ins Gesicht. Diese »Gesamtumstände« der Haft, insbesondere der Schlafentzug, rüttelten an Bennis Nervenkostüm. In der zweiten Nacht fing er an zu weinen und sagte, dass er »nach Hause« wolle. Jetzt machte es Rainer erst richtig Spaß. Er war in seinem Element. Scheinbar fürsorglich sagte er, dass bald alles gut werde und Benjamin bestimmt zu seinen Eltern zurückkönne. Zwei Stunden später ließ er es sich aber nicht

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