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Auf Bewährung - mein Jahr als Staatsanwalt

Auf Bewährung - mein Jahr als Staatsanwalt

Titel: Auf Bewährung - mein Jahr als Staatsanwalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Pragst
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zweimal schon habe sie es der Polizei detailliert berichtet. Die Richterin erklärte ihr geduldig, dass diese Niederschriften im Prozess nicht verwertet werden können und das Gericht die Geschehnisse außerdem von ihr persönlich hören wolle, um sich selbst einen Eindruck machen zu können. Nina R. berichtete nun recht umfangreich von den Ereignissen jener Nacht. Als sie aber zu der eigentlichen Vergewaltigung kam, umschrieb sie nur kurz, dass »er es dann gemacht« habe. Die erneute Schilderung vor all den Menschen war ihr wohl peinlich. Es nutzte aber nichts. Sie musste nochmals ganz genau erklären, wie der Angeklagte sie aufs Sofa geworfen habe. Wie und wo genau habe er über ihr gelegen? Mit welcher Hand habe er was festgehalten und wo gezogen? Was habe er dabei gesagt? Wie und womit |170| habe sie sich gewehrt? In welcher Position genau sei er in sie eingedrungen? Wie lange habe der Geschlechtsverkehr gedauert und sei es zum Samenerguss gekommen? Nina R. zitterte und musste weinen. Es gab eine Verhandlungspause von 15   Minuten. Dann ging es genau dort weiter. Ja, sie sei noch Jungfrau gewesen. Sie sei in der Hinsicht vielleicht etwas altmodisch. Aber sie habe sich ihre Jungfräulichkeit bewahren wollen, bis sie den richtigen Mann kennenlernen und mit ihm eine feste Beziehung eingehen würde.
    Schließlich hatte sie die Vernehmung überstanden. Vorerst! Jetzt war der Verteidiger des Angeklagten an der Reihe. Er ließ es sich nicht nehmen, nochmals auf die Vergewaltigung selbst einzugehen. Seine Vorgehensweise war geschickt, wobei manchmal nicht ganz klar war, ob er eine konkrete Frage an die Zeugin stellte oder nur seine schlechte Meinung von Nina R. dem Gericht mitteilen wollte. Es müsse doch ein Leichtes gewesen sein, sich erfolgreich gegen die Vergewaltigung zu wehren? Nina R. sagte, sie habe den Angeklagten immerzu gebeten aufzuhören. Aus seiner Umklammerung habe sie sich nicht befreien können und in der fremden Wohnung Panik bekommen. Ganz schwach und hilflos habe sie sich gefühlt. Der Verteidiger blickte ihr tief in die Augen und fuhr sie scharf an. Sie solle ehrlich sein und zugeben, dass sie den Geschlechtsverkehr irgendwie auch gewollt habe. Die Zeugin verneinte das. Sie hatte wieder Tränen in den Augen. Helfen konnte ihr jetzt niemand. Sie musste da durch. Der Verteidiger prangerte an, dass die Zeugin schon zwei Wochen nach der Tat wieder in eine Disco gegangen sei. Er präsentierte Fotos, worauf Nina R. mit kurzem Rock zu sehen war. So schlimm könne es wohl doch nicht gewesen sein. Die Zeugin erklärte, sie habe sich |171| geschämt, es zu Hause aber auch nicht mehr ausgehalten. Sie habe mit ihren Freunden zusammen sein wollen. Der Verteidiger legte nach. Habe sie den Angeklagten nicht schon länger angehimmelt und von einer »tiefen Beziehung« gesprochen? Habe sie nicht verärgert und hysterisch reagiert, als der Angeklagte ihr entnervt immer wieder eine Absage erteilte? Nina R. erklärte, dass das alles erlogen sei. »Erlogen?«, der Verteidiger wurde aggressiver und bestimmender. »Das können Sie sicherlich sehr gut beurteilen. Lügen ist ja Ihre Spezialität.« Er beugte sich von der Verteidigerbank zu der Zeugin hinüber: »Alles gelogen, wie sonst wollen Sie erklären, warum Sie sich nach einer angeblich so schlimmen Tat von dem Angeklagten in eine Diskothek fahren ließen. Jeder normale Mensch wäre sofort weggerannt und hätte die Polizei verständigt! Aber Sie steigen natürlich in sein Auto und lassen sich dann auch noch in eine Diskothek bringen! Erklären Sie das!«
    Ich wollte zum Verteidiger hinüberzischen, woher er denn so genau wisse, wie sich ein Vergewaltigungsopfer »normalerweise« verhalte. Aber das hätte nichts genutzt. Ich hätte für diese Unterbrechung nur einen Rüffel von der Richterin bekommen. Wie quälend diese Vernehmung für Nina R. war, konnten alle Beteiligten spüren. Ich hatte das Gefühl, irgendwie helfen zu müssen. Allein die Möglichkeiten fehlten mir. Nina R. lag angeschnallt auf einem Zahnarztstuhl und musste zusehen, wie der Verteidiger ein ums andere Mal den Bohrer ansetzte.
    Die letzten Sätze hatte der Verteidiger in immer schnellerer Abfolge zur Zeugin hinübergebrüllt. Nina R. konnte ihr Verhalten nicht erklären. Sie habe damals nicht nachdenken können und sei kaum fähig gewesen, dem Angeklagten |172| zuzuhören oder etwas zu sagen, als dieser sie fragte, ob er sie irgendwohin bringen könne. Der Verteidiger zog weiter seine Bahnen um

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