Auf Couchtour
Weihnachten. Die Engländer wissen, was gut ist. Wie kommst du gerade auf England?«
»London, Charline, London. Wir waren noch nie da, und ich dachte, es sei an der Zeit, sich mal im Reich von Windsor und Co. umzuschauen. London ist eine Großstadt mit spannender Vergangenheit, multikulturellem Flair und jeder Menge Möglichkeiten für Abenteuer.«
»Du hast mir eine Romanze versprochen.«
»Kriegst du.«
»Mit wem? Brad Pitt?«
»Ja.«
»Hmmm! … Erfährt Bernd davon?«
»Selbstverständlich nicht.« Charline wirkt nervös wie ein Schulmädchen. Bis eben war mir nicht klar, wie dringend sie eine Abwechslung braucht.
»Möchtest du noch Entenbrust?«
»Nein. Ich will, dass du anfängst zu erzählen! Du hast von zwei Sensationen gesprochen. Bin ich an der zweiten auch beteiligt?«
»Eins nach dem anderen, Charline.« Ich liebe es, die Spannung auf die Spitze zu treiben. Charline ist das perfekte Opfer. Ein guter Geschichtenerzähler weiß sich zu beherrschen. Er wartet ab. Es ist eine Art Vorspiel, das, angemessen dosiert, den Erfolg garantiert. Je neugieriger ein Zuhörer ist, desto mehr Aufmerksamkeit kann man von ihm erwarten. Es ist eine Gabe, den richtigen Zeitpunkt abzupassen. Ich räume in aller Ruhe das Geschirr vom Tisch und schenke uns Sekt ein. Charline ist so nervös, dass sie schnell kippt, aber zu langsam schluckt.
»Oh nein!« Sie wischt sich den Sekt mit dem Ärmel vom Kinn. »Das ist deine Schuld.«
Ich könnte mich ausschütten vor Lachen. Wenn Sie jetzt ihr Gesicht sehen könnten, Sie würden voll mit einsteigen, ich schwöre es. Ich darf es nicht übertreiben, obwohl ich mich so eingelacht habe, dass ich sogar ihre warnenden Blicke lustig finde. Sie wirft den Korken nach mir. Einen Treffer gelandet zu haben, stimmt sie sanftmütiger.
»Was ist mit deinen Ohrläppchen, die sehen ja aus wie …?«
»Tischtennisbälle, ich weiß. Die schwellen immer an, wenn ich gemein bin.«
»Ach, du!«
»Komm mit ins Wohnzimmer, da ist es gemütlicher. Vergiss dein Glas nicht.«
Wenn Charline und ich gemeinsam auf Couchtour gehen, ist es unbedingt notwendig, ihre Fantasie dabei in die richtige Richtung zu lenken, damit sie auch tatsächlich vor Augen hat, was sie sehen soll. Aus diesem Grund lege ich ihr Fotos von Orten oder Gebäuden vor, an denen die Geschichte spielt. Das erspart uns Zeit und räumt Missverständnisse aus, weil wir in dieser Hinsicht, gelinde gesagt, doch sehr unterschiedlich denken. Für heute Abend habe ich einen London-Reiseführer besorgt. Ich bin also bestens vorbereitet. Die mitwirkenden Personen besetze ich mit Schauspielern, das ist am einfachsten, da ich ihre Charaktere völlig frei gestalten kann. In diesem Fall ist es sogar ein Muss, wegen Charlines Brad Pitt. Würde ich Menschen aus unserem Freundeskreis als Akteure benennen, bekäme ich ständig zu hören: »Das kann der doch gar nicht, das macht die nie, dafür ist die viel zu dusselig …« Solche Zwischenrufe bringen mich aus dem Konzept. Fragen sind in Ordnung, Diskussionen unerwünscht. Ich weiß, wovon ich spreche.
Charlines Ungeduld erreicht ihren Höhepunkt. Sie droht mir, nach Hause zu fahren, wenn ich nicht sofort anfange. Aber ich habe die Macht, ich lasse mich nicht unter Druck setzen. »Bitte, wie du willst, dann wirst du eben nie erfahren, wie es ist, Brad Pitt zu küssen. Ach übrigens, ihr habt Sex im Fahrstuhl.«
»Oh mein Gott, oh mein Gott!« Charline kreischt und hält sich ihre Hände vors Gesicht. Es ist ihr so peinlich, als hätte ich tatsächlich dabei zugesehen. Die aufsteigende Röte blitzt durch ihre Finger.
»Charline!«
»Okay, okay, ich bin okay.« Sie atmet tief durch. »Hast du ’ne Zigarette?«
»Sogar eine ganze Schachtel. Hinter dir auf dem Regal. Gib mir auch eine.«
Ich inhaliere einen kräftigen Zug, verknote meine Beine zum Schneidersitz und beginne mit der Liste der wichtigsten Darsteller:
Inspektor Brighton Stiller … Al Pacino
Officer Aaron Steel … Brad Pitt
Officer Troy Archer … Orlando Bloom
Diego Delago … Antonio Banderas
Patziger Rücken, Mads Bondeknold … Jack Nicholson
Bolle Slyngel … John Travolta
»So, so, Orlando Bloom ist auch dabei. Hätte ich mir ja denken können. Du wirst also in puncto Affäre ebenfalls auf deine Kosten kommen.« Charline lächelt mich vorwitzig an. Sie nickt dabei wie ein Wackeldackel. Ich glaube, sie entlädt so ihre Erleichterung darüber, in Sachen Sex nicht allein im Mittelpunkt zu stehen.
»Es ist mein Traum!
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