Auf Couchtour
Willen, diese Freundschaft zu erhalten, weiß ich nicht. Fakt ist, keiner von uns hat diesen Termin je platzen lassen – seit siebzehn Jahren. Wir treffen uns da, wo es gerade passt. Ob im Krankenhaus, weil Stina unbedingt an einem Donnerstag geboren werden wollte, in einer Bar, bei uns zu Hause oder auf halber Strecke im Urlaub. Diese Zeit gehört uns, und wie wir sie nutzen, hängt von unserer Stimmung ab. Entfernung war zwar nie ein Hindernis, verkürzte allerdings unsere Verabredungen. Es ist ein Segen, dass Charline und ich jetzt wieder nah beieinander wohnen. Bei klarer Witterung kann ich von meinem Wohnzimmerfenster aus sogar das Dach ihres Hauses sehen. Es ist blau und deshalb sehr markant zwischen all den roten Dächern drumherum.
An manchen Abenden liegen wir einfach nur auf der Couch, Kopf an Kopf, vollgestopft mit Pizza, bis zur Nase in eine Wolldecke eingewickelt. Charline ist der einzige Mensch, in dessen Gegenwart mir sogar Schweigen angenehm ist. Es würde in eine endlose Aufzählung ausarten, wenn ich im Einzelnen aufführen wollte, wie wir unsere Donnerstage verbringen. Ich hätte das Gefühl, etwas Heiliges zu entweihen, indem ich darüber plaudere. Um Ihnen zu verdeutlichen, wie bereichernd und wichtig diese Treffen für mich sind, sage ich nur eins: Dies sind die Tage, an die ich mich erinnere, liegen sie auch noch so weit zurück.
Heute ist Dienstag, der 22. Januar, 22.30 Uhr. Ich sitze frisch geduscht und eingemummelt in mein Bettzeug auf der Couch. Zum Glück sehen Sie mich nicht. Es wäre mir unangenehm. Ich trage einen uralten Schlafanzug aus rosa Frottee. Er war mal richtig knallrosa, aber unzählige Wäschen, darunter eine mit schwarzen Socken, lassen die ursprüngliche Farbe nur noch erahnen. Die Hosenbeine sind eingelaufen. Sie gehen mir bis knapp unters Knie. Der Knüller ist das Front-Motiv auf dem Oberteil: Ein Teddybär in einer Gitterkiste, mit einer Zunge aus Filz, die ihm seitlich aus dem Maul hängt. Man kann sie jetzt nicht mehr als solche erkennen. Im Gegensatz zu den Hosenbeinen, erscheint sie mir nach jedem Waschgang länger. Ich muss sie unbedingt abschneiden, sonst stranguliere ich mich eines Nachts damit. Dieser Schlafanzug ist ein Geschenk meiner Mutter, und ich ziehe ihn nur an, wenn ich träumen will. Aus welchem Grund auch immer, funktioniert es in diesem ausgeleierten Ding am besten.
Im Schlafzimmer ist es eiskalt. Ich habe heute Morgen nach dem Lüften vergessen, das Fenster zuzumachen – darum übernachte ich hier im Wohnzimmer, ist sowieso gemütlicher.
Ich lehne mich entspannt zurück und wärme meine Hände an einer Tasse Kakao. Das Konzept ist klar. Charline und ich brauchen eine Romanze. Und ein Abenteuer. Alles mit Happy End. Ein bisschen schummeln, was mich angeht, ist auch erlaubt, aber nur ein bisschen. Das heißt: frischer Teint, keine Allergien, klarer Blick – ich vertrage ausnahmsweise Kontaktlinsen im Dauereinsatz. Mehr nicht. Ein Urlaub würde uns guttun, aber wo?
USA? Zu weit weg. Mallorca? Nein, zu prollig. Paris? Och nö, ist eher was für Liebespaare … Ich hab’s! London! Wir fliegen nach London! Das ist die Idee. Jack the Ripper, der Tower, Scotland Yard … Ich bin so aufgeregt, dass ich Charline am liebsten anrufen würde. Schade, es ist schon zu spät. London, da wollte ich immer schon mal hin. Jetzt schnell das Licht ausknipsen und rein in die Kissen. Ich höre Big Ben, seine Schläge werden lauter und lauter …
Donnerstag
24. Januar, 18.30 Uhr. In einer Stunde kommt Charline. Ich habe ihr telefonisch zwei Sensationen angekündigt. Eine davon ist natürlich die Couchtour, die andere mein Plan, der Charline ebenso brennend interessieren wird wie unsere Traumreise, so viel steht fest.
Es wird eine lange Nacht werden. Ich habe mir vorsichtshalber für morgen Urlaub genommen. Charline ist darauf eingestellt, bei mir zu schlafen. Das hat den Vorteil, dass Bernd nicht alle halbe Stunde anruft, um zu fragen, wann sie nach Hause kommt und ob er auf sie warten soll. Sie ist total neugierig und wäre längst losgefahren, aber ich will erst alles perfekt machen. Eine verdammt gute Geschichte verdient einen gebührenden Rahmen. Ich bin ein Meister in Gemütlichkeit und könnte selbst eine Rolle Stacheldraht mit ein paar Handgriffen in das kuscheligste Plätzchen auf Erden verwandeln. Besonders wichtig sind Kerzen, viele Kerzen. Auf elektrisches Licht möchte ich komplett verzichten, deshalb habe ich heute in der Drogerie alles aufgekauft,
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