Auf Couchtour
Hoffnung in Ihnen schüren, nämlich, dass es sich lohnt, zu warten. Wenn ich eine Auserwählte sein kann, könnten Sie es auch sein. Wenn mein unspektakuläres Leben ohne mein Zutun eine bedeutende Wende nimmt, warum nicht auch Ihres? Blödsinn. Warten hat sich noch nie gelohnt. Es sei denn, man fragt nach einem Termin beim Orthopäden – man wartet sich in der Regel gesund, bevor man drankommt. Wer nur ausharrt, statt zu handeln, verliert – so einfach ist das.
Ein äußerlicher Durchschnittstyp zu sein, ist gar nicht so schlimm. Im Gegenteil. Die meisten schönen Menschen verbringen zu viel Zeit damit, etwas zu erhalten, was nun mal vergänglich ist. Sie reduzieren sich auf ihre Hülle und vergessen dabei, andere Eigenschaften zu pflegen. Um was man sich nicht kümmert, kann nicht gedeihen. Und ist es eines Tages vorbei mit der Schönheit, bleibt außer ein paar Fotos nur der Schmerz über den Verlust. Früher wollte ich partout schön sein, wie Charline. Sie ist die Frau auf den ersten Blick. Die Männer schauen ihr nach, pfeifen ihr hinterher, und gäbe es Poster von ihr, hinge ihr Bild in so manchem Spind. Wenn wir zusammen ausgehen, sonne ich mich in ihrer Erscheinung und schätze mich glücklich über jeden verirrten Blick, der von ihr abrutscht und mich trifft. Charline selbst findet sich gar nicht so attraktiv – sagt sie, damit man sie vom Gegenteil überzeugt. Sie ist auf jeden Fall keine von denen, die ihre Persönlichkeit vernachlässigen, und das macht sie in meinen Augen vollkommen. Ich bin nicht neidisch auf ihr blendendes Aussehen, denn sie würde nie böswillig mit mir konkurrieren. Ihrer Meinung nach bin ich die Frau auf den zweiten Blick und das sei wesentlich nachhaltiger. Während sie nur oberflächliche Bewunderung ernte, schließe man mich ins Herz. Ich könnte ihre Theorie widerlegen. Ich hätte einen Berg von Gegenbeispielen anzubieten, aber ich genieße es, dass sie mich tatsächlich so sieht, das pusht mein Selbstbewusstsein ungemein.
Es war in unserem letzten Schuljahr, als uns bewusst wurde, dass sich unsere Wege bald trennen würden. Charline und Rita, Rita und Charline. Bis dahin war es unvorstellbar, den einen Namen ohne den anderen zu nennen. Wo die eine von uns auftauchte, war die andere nicht weit. Meine Ausbildung als Masseurin verschlug mich damals ins Weserbergland. Die ganze Welt versuchte, mich davon abzubringen. Eine Allergikerin in einem medizinischen Heilberuf sei von vornherein zum Scheitern verurteilt, hieß es. Ich habe sie alle eines Besseren belehrt, die Vorsichtigen, die Zweifler und die Vernünftigen. Es hätte schiefgehen können, okay, aber ich bin keine von denen, die ins Kloster eintreten, weil sie Angst vor Liebeskummer haben. Meine edlen Absichten, Menschen zu helfen, wurden von höherer Stelle erkannt und belohnt. Wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Meine Hände sind allergieresistent und bleiben es, basta. Charline blieb im Harz und lernte Bürokauffrau bei Schnurz & Partner. Ich glaube, die sind längst pleite. Damals waren sie ein aufstrebendes Unternehmen in der Herstellung von Schwämmen aller Art. Charline – seinerzeit noch die unverheiratete Azubine Fräulein Küchle – meldete sich dort am Telefon mit: »Schnurz & Partner, Schwämme aller Art, zum Wischen oder Baden, super-saugstark und sanft zur Haut, Charline-Elke Küchle mein Name, was darf ich für Sie tun?« Während ihrer Dienstzeit in der Zentrale musste sie diesen Spruch im Minuten-Rhythmus aufsagen. Acht Stunden lang. Sie können das gerne mal versuchen, so zehn Mal hintereinander. Sie werden überrascht sein, was dabei herauskommt. Ich habe sie fast jeden Tag angerufen, um eine neue Variante dieser Begrüßungsformel zu hören. Köstlich. Wir amüsieren uns heute noch darüber. Sie hat den Job gleich nach ihrer Ausbildung geschmissen.
Eine ganze Woche lang haben wir Abschied gefeiert. Wir saßen in meinem Zimmer, weinten, rauchten und tranken Kirschlikör bis zur Bewusstlosigkeit. Je näher unser Tag X rückte, desto intensiver beschäftigten wir uns mit dem Aus-Den-Augen-Aus-Dem-Sinn-Thema. Die Angst, uns zu verlieren, war ebenso präsent wie die Übelkeit, die der grauenhafte Likör hervorrief. Am Sonntag vor meiner Abreise leisteten wir uns einen Schwur: »Jeden Donnerstagabend, egal, was ist, egal, was kommt, werden wir zusammen sein – für jetzt und ewig.« Es mag lächerlich klingen, aber wir besiegelten den Eid mit unserem Blut. Ob es nun daran lag oder an unserem festen
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