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Auf Couchtour

Auf Couchtour

Titel: Auf Couchtour Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ramona Wickmann
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den Finger. »Wir hatten unser Abenteuer, lass uns zurückfliegen!« Sie will das nicht wirklich, aber der Versuch, mich vom Weiterreden abzubringen, tut ihr, vor allem ihrem Gewissen, gut.
    »Spinnst du? Mitgefangen, mitgehangen. Ich glaube, ich sehe ihn schon, den Brad, den Pitt. Er ist splitternackt und springt in Zeitlupe mit ausgebreiteten Armen auf dich zu. Er ruft deinen Namen: C-h-a-r-l-i-n-e!« Ich verdrehe meine Augen, strecke meine Hände nach ihr aus und schwanke mit meinem Oberkörper hin und her. Im gleichen Rhythmus schlage ich meine Zunge über die Mundwinkel. Mit diesem Extra klingt das Echo ein bisschen verfremdet: »H-a-a-h-i-e-e-e!« Charline zieht ihren Kopf weg. Wahrscheinlich erinnert sie meine Darbietung eher an einen bekifften Teletubbi als an ihren Pretty-Pitti.
    »Hör auf, mich zu veralbern. Erzähl richtig.«
    »Okay. Der Flieger stand. Wir saßen angeschnallt auf unseren Plätzen und harrten aus. Es ist komisch. Wenn man auf etwas wartet, kommt einem die Zeit immer länger vor. Du wartest fünf Minuten und denkst, es wären bereits zwanzig vergangen. An der Tür unserer Personaltoilette hängt ein Spruch, der den Nagel auf den Kopf trifft: ›Wie lang eine Minute dauert, hängt davon ab, auf welcher Seite der Tür man sich befindet.‹ In unserem Fall wussten wir ja nicht mal, worauf wir warteten. Würde gleich ein Sondereinsatzkommando den Flieger stürmen, uns mit Tränengas einnebeln und uns alle zu Boden werfen? Wir wurden unruhig. Das flaue Gefühl im Magen wurde durch einen Schub Egoismus verstärkt. Wir empfanden kein Mitleid mit dem patzigen Rücken, sondern Wut auf ihn. Der Schrecken seines Anblicks war längst verflogen. Wir dachten einzig und allein an uns, unseren Urlaub, unsere freien Tage, und wie die sich wohl in einer Zelle mit Meuchlern, Heuchlern und Schändern gestalten würden. Was scherten uns dieser Mann und sein Schicksal. Wir schuldeten ihm kein Mitgefühl. Dass sich ein Mörder an Bord befand, kümmerte uns wenig. In Zusammenhang mit dem patzigen Rücken war das Wort Mörder, fand ich, auch zu hart gewählt. Ich glaube, keiner hat darüber nachgedacht, sonst wäre bestimmt Panik ausgebrochen. Ich fühlte mich von Harold beobachtet. Er taxierte mich – nicht, weil ich für ein Date in Frage kam, sondern weil ich ihm gegenüber saß und er es leid wurde, den Kopf nach links gedreht zu halten. Rechts von ihm brütete die Stewardess ihre Verteidigung aus, immer noch die Augen zur Wand gerichtet. Einer von den beiden hätte etwas sagen sollen, irgendetwas Belangloses. Dieses Schweigen und Blicke-Ausweichen war peinlich, so peinlich, dass auch wir uns nicht unterhielten. Hier und da erhob sich eine Stimme aus dem Fluggastraum: ›Was passiert denn jetzt? Könnte uns mal jemand aufklären?‹ Und noch etwas auf Dänisch. Seltsam, die dänische Stimme kam mir bekannt vor, dabei waren wir doch gar keinem Dänen begegnet. Wie auch immer. Von hier aus konnten wir eh niemanden sehen, außer Harold und die Stewardess, und die waren ja spontan verstummt.
    Eigentlich hätte sich Harold mal aufschwingen müssen, um die Leute zu beschwichtigen, aber er blieb sitzen und hielt sich an seine Vorschriften: Handbuch für Stewards und Stewardessen, Kapitel neun, Seite achtundvierzig: ›Wird während des Fluges ein Passagier erwürgt: Decke drüberlegen, ab durch die Mitte, verstecken und keinen Mucks von sich geben.‹ Außer dem Passus ›Decke drüberlegen‹, hätte das auch im Lehrbuch für Baumarktmitarbeiter stehen können, wenn Kundschaft mit Fragen droht. Andererseits war er ja auch nicht schlauer als alle anderen. Wenn einer nichts zu sagen hat, soll er lieber den Mund halten – das ist übrigens aus meinem persönlichen Verhaltens-Knigge.
    Endlich wieder ein Knistern aus dem Lautsprecher. Sehr gut. Noch besser: Es meldete sich die Stimme des Kopiloten. Wir sollten Ruhe bewahren und angeschnallt bleiben. Gleich würde ein Inspektor von Scotland Yard zusteigen, der uns über die weitere Vorgehensweise informierte. Nur ein Mann gegen eine Meute potenzieller Mörder? Wer würde sich das trauen? Wer wäre cool genug, nur mit einem auf kleine Italiener zugeschnittenen Trenchcoat bewaffnet, an Bord zu kommen?«
    »Al Pacino.«
    »Alias Inspektor Brighton Stiller. Yes. Noch hast du Schonfrist, meine Liebe. Er ist die Vorhut, verstehst du? Harold und die Stewardess, an deren Namen ich mich nicht erinnern kann, schnallten sich ab und eilten im Gleichschritt zur Flugzeugtür.

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