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Auf das Leben

Titel: Auf das Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Rothschild Oliver Weiss Mirjam Pressler
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zergehen, dieses verrückte Szenario: Ein kleiner Kerl mit schwarzen Haaren fängt an, von großen, kräftigen Männern mit blonden Haaren und blauen Augen zu träumen. Nennt sie aus irgendeinem Grund Arier. Und überzeugt alle anderen - von denen die meisten natürlich auch nicht so aussahen -, dass dies die perfekte menschliche Rasse sei. Können Sie sich das vorstellen? Der fette Göring, der mickrige Himmler, Heydrich, Bormann, der verkrüppelte, dunkelhaarige Goebbels? Alle träumten von großen Übermenschen! Ich meine, normalerweise versucht man die Menschen doch zu überzeugen, dass sie perfekt sind, nicht wahr? Und dass alle anderen unrecht haben, oder? Na ja, Hitler hat der ganzen Clique eingeredet, dass sie ›rassisch minderwertig‹ seien, verglichen mit den Männern ihrer Träume. Irgendwie machte ihnen das aber nichts aus, schließlich konnte man ja der Herrenrasse dienen, auch wenn man rein optisch nicht dazugehörte. Oh, es war verrückt, absolut verrückt, sage ich Ihnen. Niemand hat an diese Wendung gedacht. So hat es mein Rabbi gesagt.
    Hirschlers Kontrolleure haben also die Kontrolle verloren. Es lief aus dem Ruder. Er war aus dem Nirgendwo gekommen und kletterte in der Hierarchie unaufhaltsam nach oben. Schnell. Zu schnell. Es wurde doch niemand Kanzler, ohne ein paar Jahre in anderen politischen Ämtern gedient zu haben, ohne irgendwo Minister gewesen zu sein, ohne Berater zu haben, die ihm sagten, was zu tun war, und ihn davon abhielten, allzu große Dummheiten zu machen. Aber dieser großmäulige Rowdy von der Straße wurde aus dem Nirgendwo direkt auf den Sitz des Kanzlers katapultiert. Das war nicht so geplant gewesen, kann ich Ihnen sagen. Niemand war darauf vorbereitet. Dafür gab es keine Notfallpläne.
    Und dann fingen die Schwierigkeiten erst richtig an. Er wandte sich gegen seine Wurzeln. Er drehte den Spieß einfach um. Fing mit Verschwörungstheorien an - schließlich glaubt man so etwas immer gern -, und dann begann er, die Regierung auf die Juden zu hetzen. Niemand wusste, wie man dagegen angehen konnte. Der Innere Zirkel war gelähmt, gespalten.«
     
     
    Das klang alles unbeschreiblich fantastisch. Ich gab einen Kommentar in dieser Richtung von mir.
    »Was erwarten Sie denn?«, antwortete er. »Es gibt natürlich nie einen Beweis für so etwas. So dumm sind die Leute nun auch wieder nicht. Was hat dieser Kerl also getan? Es kam zu einer Art Massenpsychose. Vielleicht sogar einer Massenhypnose. Er brachte die Deutschen dazu, einem Gefreiten zu gehorchen! Und sie rissen sich darum, strammzustehen und ›Führer‹ zu rufen. Er brachte sie dazu, einen Österreicher als ihren Führer anzuerkennen. Dann brachte er die Österreicher dazu, zuzustimmen, dass sie eigentlich ebenfalls Deutsche seien. Und das, nachdem sie jahrhundertelang Richtung Osten und Süden geschaut hatten, voller Stolz auf ihr multikulturelles Reich in Ungarn und auf dem Balkan, mit dem Rücken zu den steifen Preußen im Norden. Er brachte den Vatikan dazu, ein Konkordat mit jemandem zu unterzeichnen, der ganz offen - entsprechend seiner Tarnbiografie - ein abtrünniger Katholik war. Stellen Sie sich das vor! Dann brachte er sogar Stalin, den Chef der Bolschewiken, dazu, einen Pakt zu unterzeichnen! Stalin, nebenbei gesagt, war kein Jude. Das ist nur ein Gerücht, das seine Kontrolleure im Orthodoxen Patriarchat in die Welt gesetzt haben.«
    »Orthodoxes Patriarchat? Sie meinen die Kirche? Aber Stalin hat die Kirchen verfolgt! Er war Kommunist.«
    »Nein, er hatte das orthodoxe Priesterseminar in Tiflis besucht und war dazu auserwählt worden, die Interessen der russischen Orthodoxen durchzusetzen, wenn die Revolution den Zar erst einmal abgesetzt und Rasputin eliminiert haben würde«, antwortete er. »Das machte er auch. Er ging sogar so weit, dass das katholische Polen geteilt wurde. Ich glaube, beide Seiten hatten sich verrechnet. Sich gegenseitig unterschätzt. Danach hat Stalin so gut wie alle Juden aus der Partei entfernt, sowohl vor als auch nach dem Krieg. Er schloss alle Theoretiker und Organisatoren, die von Anfang an dabei waren, aus der Partei aus. Erinnern Sie sich an Trotzki? Na, jedenfalls wusste der Innere Zirkel, dass die Orthodoxe Kirche etwas vorhatte, und wollte ein starkes Deutschland, falls es zu einer Expansion Richtung Westen kommen würde. Es gab verschiedene Pläne - Palästina, Amerika, Brasilien -, aber Deutschland hatte 1918 immer noch eine gute industrielle Grundlage, trotz der

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