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Auf das Leben

Titel: Auf das Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Rothschild Oliver Weiss Mirjam Pressler
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Problem gelöst - besser gesagt, das Problem hatte sich von selbst gelöst.
    Eine Viertelstunde später kam Mrs Dorrity mit ihrem verschlafenen Ehemann herein, um ihre Mutter abzuholen - diese war offenbar einfach aus dem Bett gestiegen, die Treppe hinuntergegangen und hatte das Haus verlassen, ohne jemanden zu stören. Obwohl es nicht das erste Mal war, dass sie einfach spazieren ging, war es das erste Mal, dass sie richtig verschwunden gewesen war.
    Mrs Dorrity - eine große Frau, deren Namen ich von der Mitgliederliste kannte, obwohl sie nicht regelmäßig zur schul kam - war mir und dem jungen Polizisten, der inzwischen außer Dienst war, sehr dankbar; ebenso der Polizistin, die ihrer Mutter Gesellschaft geleistet hatte. Ja, es sei schrecklich, sagte sie, ja, es sei in der Tat anstrengend. Ihre Mutter sei nun schon seit drei oder vier Jahren so, und in der letzten Zeit sei es viel schlimmer geworden, ihr Gedächtnis existiere praktisch nicht mehr. Es gebe Zeiten, da würde sie noch nicht mal ihre Tochter erkennen, nur irgendetwas auf Deutsch murmeln, einer Sprache, die Edna Dorrity nie gelernt hatte und die sie auch nicht lernen wollte. Soweit sie wusste, ging ihre Mutter »zurück« zu irgendwelchen schlimmen Zeiten, dann schrie sie nachts. Edna weckte dann ihren Mann, aber was konnte man machen? Man musste weitermachen, nicht wahr, und dankbar sein für kleine Gnaden. Und so weiter und so weiter. Alles brach aus ihr heraus, eine Kette von Klischees der Selbstbeschwichtigung.
    Edna musste ein Formular unterschreiben, dann konnte sie ihre Mutter mit nach Hause nehmen. Der Sozialdienst war informiert worden, aber die Sozialarbeiterin kannte die Situation, vielleicht wurde es allmählich Zeit, einen sichereren Platz für sie zu finden, gab sie zu bedenken … und so weiter.
    Ich sagte, ich würde vorbeikommen, aber nicht heute. Heute musste ich meinen Zug erwischen!
    Na ja, das hatte ich jedenfalls fest vor. Als ich zu Hause angekommen war und meine Brieftasche und meine Papiere gesucht und ein Taxi gerufen hatte, hatte ich den Zehn-nach-sieben-Zug verpasst. Ich musste dann den um Viertel nach acht nehmen, der unterwegs öfter hielt, und das bedeutete, dass ich schließlich zwei Stunden zu spät zur Rabbinerkonferenz kam. Daran war nichts zu ändern. Jedenfalls hatte ich Zeit, am Bahnhof zwei doppelte Kaffees zu trinken und noch einen im Zug, aber wenn man mich heute fragt, worum es bei dieser Konferenz gegangen war, kann ich nicht viel darüber sagen.
    Jedenfalls erscheint mir die Fantasie von einer Frau, die nachts nackt auf der Straße herumläuft und nur darauf wartet, von mir ins Auto eingeladen zu werden, seither nicht mehr so attraktiv. Das ist das Problem mit Fantasien: Wenn sie wahr werden, merkt man, dass die nackte Wahrheit nur geringen Reiz hat.

VII
    Erinnern

Der Partisan

    Ihm fehlte der vierte Finger an seiner linken Hand. Und er sprach auf eine Weise, die ich nur als »schweren osteuropäischen Akzent« bezeichnen kann - aber wer bin ich schon, dass ich zwischen einem polnischen, einem litauischen oder russischen Akzent unterscheiden könnte?
    Er wolle eine Gedenktafel bestellen, sagte er, doch erst müsse er mit mir sprechen.
    »Sehr schön, kommen Sie rein, nehmen Sie Platz …«
     
     
    Es ging um ein relativ neues Projekt. Ein Teil der hinteren Synagogenwand sollte für mehrere Reihen rechteckiger Gedenktafeln aus Messing verwendet werden. Diese Tafeln konnten von den Mitgliedern erworben und einem Toten gewidmet werden, an den sie sich erinnern wollten. Der Preis war natürlich höher als die Kosten für die Messingtafel und das Gravieren, denn die Idee dahinter war vor allem, Geld für die Synagoge aufzutreiben. Dennoch kam solch ein Projekt den Gefühlen der Menschen entgegen: So etwas hatte gefehlt, und deshalb hatte die Verwaltung diese Idee diskutiert (viele Male), hatte Kostenvoranschläge machen lassen (viele Male), die Abstimmung durchgeführt und eine Holztafel anbringen lassen. Wir hatten darüber im Mitteilungsblatt der Synagoge informiert. Es hatte natürlich gleich ein paar Probleme gegeben, weil einige Leute nichtjüdische Familienmitglieder auf die Liste gesetzt hatten (wir hatten viele Mitglieder, deren Eltern keine Juden gewesen waren): deshalb hatte die Anzeige sehr vorsichtig formuliert werden müssen. Wir brauchten den bürgerlichen Namen, den hebräischen Namen, das Geburts- und das Todesdatum. Wenn möglich nach dem jüdischen Kalender. »Der Rabbi wird Ihnen helfen, die

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