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Auf das Leben

Titel: Auf das Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Rothschild Oliver Weiss Mirjam Pressler
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Zollbeamter fungiert, mit der Berechtigung, sie durch die Schranke zu winken, mit einer Bescheinigung und mit reinem Gewissen.
     
     
    Und so saß ich also hier, in einem dieser privaten Pflegeheime. Die ehemalige Villa war billig saniert. In den dicken Teppichen hatte sich der Geruch nach alten Menschen festgesetzt, die inkontinent geworden sind, und nach anderen, die sich verzweifelt, aber erfolglos bemühen, das zu vertuschen. Wir saßen in einer Ecke der kleinen Halle. Wir waren die Einzigen. Er hatte gewartet, die Zeit mit Geplauder gefüllt, bis eine alte Dame knarrend mit ihrer Gehhilfe zur Tür hinausgegangen war, dann bat er mich, die Tür zu schließen.
     
     
    »Ich habe es von meinem Rabbi gehört«, sagte er, »und der von seinem. Hitler war einer von uns. Einer, mit dem etwas schiefgegangen ist.«
    »Was meinen Sie, um Himmels willen?«
    »Na, was wohl? Er war Jude!«
    »Aber das ist doch lächerlich. Absolut lächerlich, Sie müssen den Verstand verloren haben. Adolf Hitler? Der größte Antisemit der Geschichte?«
    »Nun ja, er ist für diese Position aufgebaut worden. Sie haben ihm falsche Papiere gegeben. Sie haben ihm eine neue Identität gegeben. Er sollte nach dem Zusammenbruch des Kaiserreichs alles tun, um die politische Situation in Deutschland zu verändern. Aber dann ist es schiefgegangen. Deshalb ist es ja zu dieser Katastrophe gekommen. Und deshalb ist auch alles vertuscht worden.«
    Ich war, muss ich gestehen, fasziniert. Das war eine neue Variante all der Verschwörungstheorien, die ich schon gehört hatte. Gegen meinen Willen war ich neugierig. Womit würde er als Nächstes herausrücken? War das hier sein größtes Geheimnis?
    »Er war wirklich nur ein mieser Anstreicher, dieser Adolf Hirschler«, fuhr er fort. »Sie haben seinen Namen dann in Hitler geändert. Sie kennen doch das Gerücht, dass sein Vater eigentlich Schicklgruber geheißen hat? Nun ja, das ist ein bisschen spöttisch gemeint. Sein Vater sei von einem Konkurrenten beschuldigt worden, ein Schekelgrüber zu sein, also jemand, der immer nach dem letzten Schekel grub. Und niemand konnte dieses Gerücht stoppen. Hirschler stammte aus Brünn oder Brno - das wurde dann natürlich in Braunau geändert. Tatsächlich war Adolf Hirschler in der österreichisch-ungarischen Armee gewesen. Nach dem Krieg lebte er in Wien, ohne Arbeit, und, ehrlich gesagt, war er auch nicht vermittelbar. Nicht mal andere Juden wollten ihm Arbeit geben. So weit stimmt damit alles.
    Aber dann beschloss jemand vom Inneren Zirkel, dass es vielleicht gut wäre, ein paar von unseren Leuten in den rechten Parteien zu haben. Deshalb wurden ein paar Kerle ausgesucht, mit einer Tarnung versehen, also mit einer neuen Identität ausgestattet, die nahe genug an der Realität war, damit ein Durchschnittsbürger nicht darüber stolperte, aber weit genug von ihr entfernt, um ihnen einen Neubeginn zu ermöglichen. Anschließend wurden sie in verschiedene politische Randgruppen eingeschleust. Zuerst schien es ja auch zu klappen. Man sagt, ein Drittel der ursprünglichen SA-Leute seien Juden gewesen, verdeckte Agenten für den Inneren Zirkel. Aber was geschah dann?«
    Der Mann war verrückt, so viel war klar. Er war irre. Aber was er sagte, klang interessant, und, zum Teufel, ich hatte genug Zeit, um ihm weiter zuzuhören.
    »Es ist wie in der Geschichte vom Golem, wissen Sie? Oder wie beim Zauberlehrling, bei Frankenstein und all diesen Geschichten. Das künstliche Geschöpf wurde zum Monster und geriet außer Kontrolle, war besessen von der Macht. Verstieß seine Herren. Versuchte, sie zu vernichten. Und allmählich auch jede Spur zu verwischen. Die Macht stieg ihm zu Kopf. Es war nicht geplant gewesen, ihm so viel Macht zu geben - schließlich war er nur ein untergeordneter Handlanger, jeder konnte das sehen, bei seinem Mangel an Bildung und seinem Hintergrund und seiner Intelligenz. Ich glaube nicht, dass irgendjemand sich vorgestellt hatte, dass Hirschler so erfolgreich sein würde. So skrupellos. Ich glaube nicht, dass irgendjemand - noch nicht mal im Inneren Zirkel - geglaubt hat, auch nicht in den wildesten Alpträumen, dass er gewählt werden würde. Aber sie hatten nicht mit der Dummheit der Menschen gerechnet. Sie hatten sich nicht vorgestellt, dass, wenn sie eine ihrer Marionetten in eine Bierkneipe schicken, um antisemitische Hetzreden zu führen, alle ihm glauben würden und dass alle auf den Kerl hereinfallen würden.
    Lassen Sie sich das auf der Zunge

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