Auf & Davon
blickte Ty traurig an, wollte etwas sagen, irgendetwas anderes als die sanften Worte, die ihm auf der Zunge lagen. Er schluckte sie wieder hinunter. Er wusste nicht, worüber sie noch alles „sprechen“ konnten. Aber eins brach schließlich doch aus ihm heraus: „Ich will dich nicht verlieren. Nicht jetzt“, sagte er mit rauer Stimme.
„Ich habe nicht vor, verloren zu gehen. Nicht mehr, als ich es ohnehin schon bin“, antwortete Ty ruppig. Er wandte sich schnell ab, ging vom Bett weg und klappte dabei sein Handy auf.
Zane kniff die Augen zusammen und fluchte im Stillen. Er ballte die Hände zu Fäusten, stand vom Bett auf, zog sich die Jacke an und schnappte sich sein Feuerzeug. Während er zur Tür ging, holte er die Zigarette hinter seinem Ohr hervor.
Unter zusammengezogenen Augenbrauen hervor sah Ty ihm nach, während er darauf wartete, dass Henninger ans Telefon ging. Als der junge Agent sich meldete, berichtete Ty ihm rasch über die Veränderungen im Profil des Täters und über das Muster, das sie entdeckt hatten.
„Poe?“, fragte Henninger mit verhaltener Stimme, anscheinend um nicht belauscht zu werden. „Sind Sie sicher?“
„Der letzte Mord hat uns das eigentlich endgültig bestätigt“, antwortete Ty. „Wir haben hier so einen Sammelband von Poes Erzählungen; wir werden die mal durchgehen und sehen, was wir noch finden. Sind Sie schon dazu gekommen, mir diese Personalakten zu besorgen?“
„Noch nicht“, antwortete Henninger zögernd. „Bis morgen habe ich sie aber“, versprach er rasch. „Sie wollten die Akten von allen, die zwischen 2002 und 2004 in Baltimore gelebt oder gearbeitet haben, korrekt?“
„Das ist richtig“, antwortete Ty und nickte unbewusst dabei. „Okay, jetzt geben Sie das mit dem Muster mal weiter, die Analytiker vom FBI sollen sich den Scheiß mal gründlich vornehmen. Wir müssen ihm zuvorkommen.“
„Gut. Aber wie erkläre ich denen das?“, fragte Henninger besorgt. „Was soll ich denen sagen?“
„Erfinden Sie was. Tun Sie so, als hätten Sie es selbstrausgefunden“, wies Ty ihn an.
„Was?“, fragte Henninger in ziemlich fassungslosem Ton.
„Sagen Sie denen, der letzte Mord hätte sie drauf gebracht; wenn man so drüber nachdenkt, liegt es eigentlich auf der Hand“, schlug Ty vor. „Erzählen Sie denen von dem Mord in Baltimore, und wie Sie davon ausgehend die Verbindung hergestellt hätten. Wenn die überhaupt fragen“, verwies er vorsichtshalber. „Wahrscheinlich fragen sie ja gar nicht, also geben Sie von sich aus keine Informationen preis. Wahrscheinlich werden die schon froh sein, dass sie etwas haben, womit sie arbeiten können. Falls es Ihnen zu eng wird, sagen Sie denen einfach, Sie hätten den Tipp von einem Kumpel im Bureau, der nicht genannt werden will. Geben Sie denen meinen Namen und meine Nummer in Baltimore, falls sie darauf bestehen.“
Er wartete, bis Henninger sich einen Notizblock besorgt hatte, und gab ihm dann für alle Fälle die Nummer.
„War sonst noch was?“, fragte Henninger mit einem tiefen Seufzer.
„Seien Sie vorsichtig. Vermutlich weiß er, dass wir wieder da sind. Wenn das so ist, bringt er Sie vielleicht mit uns in Verbindung“, warnte Ty besorgt. Ihm gefiel der Gedanke nicht, noch mehr unschuldige Leben auf dem Gewissen zu haben. In seinen Träumen sah er immer noch Isabelle St.Clairs Gesicht vor sich.
„Keine Sorge, Sir“, murmelte Henninger. Ty beendete das Gespräch und seufzte unglücklich. Obwohl sie annehmen durften, schon den zweiten bedeutenden Durchbruch in diesem Fall geschafft zu haben, hatte er nicht den Eindruck, als hätten sie große Fortschritte gemacht.
Zane kam ins Zimmer zurück. Er roch nach Rauch und sah aufgewühlt aus. „Sollen wir los?“, fragte er Ty.
Ty nickte wortlos, und sie fingen an, ihre wenigen Habseligkeiten zusammen zu klauben und zu ihrem Mietwagen hinauszubringen. Das Gefühl, dass der Killer ihnen auf den Fersen war anstatt umgekehrt, lastete schwer auf allen beiden. Sie redeten kein weiteres Wort miteinander. Zane setzte sich ans Steuer, und sie fuhren ohne bestimmtes Ziel einfach los.
Schließlich wandte Ty ihm seinen Blick zu und musterte ihn eine Zeitlang. „Wir könnten einfach auf und davon gehen“, schlug er leise vor und beobachtete Zane dabei scharf.
Zane zwang sich, den Blick auf die Straße gerichtet zu halten. Er presste die Lippen zusammen und umklammerte das Lenkrad fest mit beiden Händen. „Das ist ein schöner Traum“, antwortete er
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