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Auf dem Holzweg durchs Universum: Warum sich die Physik verlaufen hat (German Edition)

Auf dem Holzweg durchs Universum: Warum sich die Physik verlaufen hat (German Edition)

Titel: Auf dem Holzweg durchs Universum: Warum sich die Physik verlaufen hat (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Unzicker
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Kernspaltung konnte man sich keinen Mechanismus für den eigentlich offensichtlichen Befund vorstellen. Ein Geologe, Rollin Thomas Chamberlin, äußerte im Jahr 1928: „Wenn wir uns Wegeners Hypothese anschließen wollten, müssten wir alles vergessen, was wir in den letzten siebzig Jahren gelernt haben, und völlig von vorne anfangen.“ 1960, als Wegeners Theorie endlich durch das Auseinanderdriften des mittelatlantischen Meeresbodens bestätigt wurde, mussten sie dann wirklich noch mal von vorne anfangen.
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    In Fragen der Wissenschaft wiegt die Autorität von Tausenden nicht das bescheidene Nachdenken eines einzelnen Individuums auf. – Galileo Galilei
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    Man hatte den Kopf in den Sand gesteckt. Solch eine Situation findet man auch heute oft vor: Die Physik ist in Teilgebiete zersplittert, die gegen Kritik von außen weitgehend immun sind. Vor allem ist diese Episode aber beunruhigend, weil eine auf der Hand liegende Erklärung ein halbes Jahrhundert lang keine Anerkennung gefunden hat. Man muss davon ausgehen, dass ein subtilerer Irrtum in einem etablierten Paradigma noch viel länger überleben kann.
    Wissenschaftstheoretisch höchst interessant ist die Episode des ‚Phlogistons‘, mit dem die Naturforscher des 18. Jahrhunderts Verbrennungsvorgänge erklärten. Man nahm an, dass die geheimnisvolle Substanz zuerst durch Erwärmung zugeführt wurde und dann bei jedem Feuer entweiche. Der aus heutiger Sicht ungewöhnliche Erfolg der Theorie war durchaus nachvollziehbar: So wurde das Erlöschen einer Kerzenflamme unter einer Glashülle nicht mit dem Aufbrauchen des brennbaren Sauerstoffs erklärt, sondern mit einer Sättigung der Luft mit Phlogiston. Fast spiegelbildlich mimte seine Präsenz die Abwesenheit von Sauerstoff und umgekehrt – eine naheliegende Idee, wenn sie auch einer gewissen Naivität entsprang. Die Schwäche der Phlogistontheorie lag gar nicht so sehr in der Komplizierung, sondern darin, dass eine nicht direkt beobachtete Sündersubstanz für alle möglichen Phänomene verantwortlich gemacht wurde, deren oberflächliche Gemeinsamkeiten die unverstandenen Mechanismen verdeckten. Die Parallele zur Dunklen Materie in der Astrophysik drängt sich hier auf. Dass sie auch nicht existieren könnte, scheint vielen undenkbar. Aus genau diesem Grund hielt sich die Phlogistontheorie etwa ein Jahrhundert lang. Solche Zeitspannen müssen zu denken geben.
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    Ignorant gegenüber der Vergangenheit zu sein, heißt ein Kind zu bleiben. – Cicero
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DIE FRANZÖSISCHE ILLUSION UND ANDERE MALHEURS
    Aber auch weniger solide Phänomene können ein gehöriges Eigenleben entfalten. Kurz nach Wilhelm Conrad Röntgens Entdeckung von 1895, damals auch X-Strahlen genannt, glaubte der französische Physiker René Blondlot, von einem heißen Platindraht ausgehende ‚N-Strahlen‘ beobachtet zu haben, deren Lichtspektrum er mit einem Prisma bestimmt habe. Das Phänomen wurde als eine peinliche Selbsttäuschung entlarvt, hatte aber nicht weniger als 300 (!) Veröffentlichungen von etwa 120 Forschern nach sich gezogen, die die Strahlen ebenfalls ‚gesehen‘ hatten. Es hat schon seinen Grund, dass die Naturwissenschaft auch das Interesse der Soziologen anzieht.
    Wer meint, die altertümliche Experimentiertechnik um 1900 sei hier verantwortlich, der lese einen Artikel in Nature aus dem Jahr 1969. 13 Er berichtet von einer sensationellen Entdeckung namens Polywasser, das sich vom trivialen Nass durch erhöhte Viskosität und andere exotische physikalische Eigenschaften unterscheiden sollte. Der Grund dafür: Dreck. Diesen wiederentdeckt zu haben, war dann übrigens Gegenstand eines Prioritätsstreits zwischen zwei Amerikanern, die ihre Erkenntnis beide von dem gleichen Russen abgekupfert hatten. Schlimmer kann man sich selbst nicht nass machen.
    Weniger als echte Irrwege der Forschung denn als Test für Reparaturmechanismen müssen die nicht wenigen Fälle von Fälschungen in der Wissenschaft gelten. So wurde der Physiker Jan Hendrik Schön für seine anscheinend bahnbrechenden Arbeiten in der Nanotechnologie mit Preisen überhäuft, im Jahr 2001 publizierte er an die 50 Fachartikel, allein 17 davon in der Königsklasse, den Zeitschriften Nature und Science . Über das Gutachtersystem, das die erstklassigen Leistungen der Menschheit evaluiert, kann man da schon ins Grübeln kommen. Vielleicht wäre sogar das Nobelkomitee in eine Peinlichkeit geschlittert, hätten nicht Kollegen die besonders dreisten

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