Auf dem Holzweg durchs Universum: Warum sich die Physik verlaufen hat (German Edition)
Forschungsbetrieb fortwährend Belege für die herrschenden Vorstellungen. Aber auch das ist nicht neu. So bemerkte Ptolemäus, dass sich die Epizyklen von Sonne und Venus genau in einem Punkt berührten, und dass die größte Distanz Erde – Mond (im Modell) dem kleinsten Abstand zum Mars entsprach 15 – reiner Zufall, jedoch musste dies als schlagendes Argument zugunsten einer naturgesetzlichen Ordnung perfekter Kreise erscheinen. Wie der Physiker Julian Barbour in seinem interessanten Buch The Discovery of Dynamics beschreibt, wurde diese Illusion dadurch befördert, dass Ptolemäus’ Modell viele Freiheitsgrade besaß: Durch die Unkenntnis der tatsächlichen Entfernungen wurden solche scheinbaren Übereinstimmungen viel wahrscheinlicher. [8] Je mehr Unbekannte wir in ein Modell stecken, desto eher foppen wir uns selbst durch Zurechtbiegen der nicht direkt beobachteten Größen. Halten Sie sich vor Augen, dass nach dem momentanen Modell der Kosmologie der allergrößte Teil des Universums aus unsichtbaren Substanzen besteht – leider ziemlich viel Raum für Selbsttäuschung. Aber auf allen Gebieten der Physik ist es heute üblich geworden, überraschende Effekte mit neuen Freiheitsgraden zu ‚erklären‘. Obwohl Wissenschaftstheoretiker den Kopf schütteln müssten, setzen sich solche Ad-hoc-Erklärungen nach einer Schamfrist gewöhnlich mit dem Argument durch, es gebe nichts Besseres. Aber die Wurzel aller Komplikationen ist Unverständnis.
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Wer sich nicht an die Vergangenheit erinnern kann, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen. – Georg Santayana, spanisch-amerikanischer Philosoph
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KURZLEBIGE WISSENSCHAFT MIT HOMO SAPIENS
Befinden wir uns auf einer Straße der Objektivität wie in der Zeit nach Newton – oder in einer Sackgasse wie Ptolemäus? Leider sehen wir nur, dass viele Leute unterwegs sind. Willkürliche Komplizierungen sprachen jedoch stets für die Sackgasse, sei es bei den Epizyklen oder bei den Transuranen. Und zusätzlich müssen wir feststellen, dass die Irrwege der Wissenschaft auf jeder Zeitskala vorkommen: das kurze Intermezzo der nichtexistenten N-Strahlen, das fünf Jahre währende Übersehen der Kernspaltung, die fast hundert Jahre dauernde Suche nach dem Feuerstoff, schließlich die quälende Zeitspanne bis zu Keplers erlösenden Planetenbahnen. Wie bei einem Erdbeben entlud sich hier die Spannung jahrhundertelanger Widersprüche in einer Revolution, bei der kein Stein auf dem anderen blieb. Längere störungsfreie Phasen zwischen kleineren Erdstößen verleiten dazu, das Heraufziehen einer wissenschaftlichen Umwälzung zu übersehen – das Phänomen ist übrigens nicht auf die Physik beschränkt.
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In der Wissenschaft geht es nicht um den Status quo, es geht um Revolution. – Leon Lederman, Nobelpreisträger 1988
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Der Philosoph Thomas Kuhn hat treffend beschrieben, wie solche Revolutionen mit Paradigmenwechseln einhergehen, wenn sich in zwischenzeitlichen Phasen von ‚Normalwissenschaft‘ die Ungereimtheiten zu sehr aufgestaut haben. Und normalerweise sind Normalwissenschaftler blind für solche Anzeichen. In Kenntnis dieser Beispiele müssen wir heute vorsichtiger sein.
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Das Studium der Geschichte ist ein kräftiges Mittel gegen zeitgenössische Arroganz. – Paul Johnson, britischer Historiker
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Besonders kritisch wird eine wissenschaftliche Sackgasse dann, wenn ihre Lebensdauer eine Generation von Forschern überschreitet und somit jene verstorben sind, die noch den Rückweg im Blick hatten. An diesem point of no return hilft die Diskussion im Zirkel der Experten nicht mehr weiter, und Rufe von außen, wie beispielsweise die Alfred Wegeners, verhallen. Aristarchos von Samos hat im dritten Jahrhundert vor Christus das heliozentrische Weltbild vorweggenommen – seine Argumente wurden jedoch von Hipparchos, einem herausragenden ‚Normalwissenschaftler‘, beiseite geschoben. Ist die Lebensspanne von Homo Sapiens also kleiner als der Rhythmus seiner Entdeckungen, gibt es ein Problem. Max Planck sagte dazu, in diesen Fällen schreite die Wissenschaft mit sehr langsamem Tritt voran: von einem Begräbnis zum nächsten. Wird das Weltbild wie heute zusätzlich in Institutionen tradiert, hilft auch das nicht mehr.
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Ich bin nicht jung genug, um alles zu wissen. – Oscar Wilde
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