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Auf dem Holzweg durchs Universum: Warum sich die Physik verlaufen hat (German Edition)

Auf dem Holzweg durchs Universum: Warum sich die Physik verlaufen hat (German Edition)

Titel: Auf dem Holzweg durchs Universum: Warum sich die Physik verlaufen hat (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Unzicker
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Hochenergiephysiker und Nobelpreisträger 1984
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    Mit Big Science wurde die Physik abhängig vom Geld: Heute gibt es Konkurrenz um riesige Budgets, viele Gruppen verheimlichen sogar ihre Techniken, um einen Vorsprung vor anderen zu erhalten. Das ist absurd, denn der Wissenschaft wohnt etwas Kontemplatives, zutiefst Nichtkompetitives inne.
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    Wissenschaft ist die Suche nach der Wahrheit – nicht ein Spiel, in dem man seinen Gegner zu besiegen versucht. – Linus Pauling, Nobelpreisträger 1954
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    Wenn es um Geld geht, ist Größe von Vorteil. Aber konzentrierte Forschung in großen Einrichtungen ist schon deshalb bedenklich, weil sie sich auswirkt wie in Biologie und Wirtschaft: Artenvielfalt ist gesund, Oligopole knebeln, Megaprojekte sind fehleranfällig, und den Dinosauriern der Wissenschaft droht deren Schicksal. Man kann Entdeckungen nicht planen – und noch weniger mit Geld kaufen. Aber besonders in der Hochenergiephysik hat sich eine Spirale sich selbst reproduzierender Gigantomanie ausgebildet, die der Kreativität alles andere als zuträglich ist. Emilio Segrè, der Entdecker des Antiprotons, bemerkte dazu schon 1972: 33
    „Planung und Entscheidung liegen oft in der Hand von Komitees, deren Einfallskraft zu vertrauen nicht leichtfällt. Die Physiker sind heute gezwungen, sichere Experimente vorzuschlagen, deren Ergebnisse auf der Hand liegen und die hauptsächlich wegen der verwendeten Energieregion, in der sie durchgeführt werden, interessant werden, im übrigen aber eher einfältig sind.“
    Damals waren die Beschleuniger noch hundertmal kleiner. Es wäre interessant, ihn heute zu hören. Alvin Weinberg, langjähriger Direktor des Oak Ridge National Laboratory und Berater von US-Präsident Kennedy, gab in seinem Buch Reflections on Big Science zu bedenken: 34 „Die Atmosphäre eines Komitees ist zu kompetitiv, zu verbal, zu formal, als dass Weisheit daraus erwachsen könnte“, und fügt hinzu: „Entdeckungen sind meist ein individueller Akt […] ich kann mir nicht vorstellen, dass so etwas wie die Relativitätstheorie oder die Dirac-Gleichung in einem Team gefunden wird, wie es heute charakteristisch für Big Science ist.“ 35 Allein der Zeitrahmen für ein neues Experiment ist heute erdrückend: Während früher ein neuer Versuchsaufbau innerhalb von Wochen Resultate zeigte, liegt die Zeitspanne zwischen Planung und Auswertung beim Large Hadron Collider bei etwa zwanzig Jahren, ohne dass ein Einzelner sich nennenswert einbringen könnte. Welcher kreative junge Physiker kann sich von dieser Perspektive angezogen fühlen?
EINSIEDLER UND HERDE
    Da man vermeiden will, dass Einzelne sich auf Kosten der Gruppe profilieren, werden Resultate von großen Kollaborationen erst veröffentlicht, nachdem man sich über die Datenbearbeitung geeinigt hat. Dabei kann in der Diskussion auch eine Meinung untergehen, die sich später als richtig herausstellt. Aber auch die Öffentlichkeit erwartet Konsens, denn nichts wäre dem Ansehen schädlicher als zerstrittene Wissenschaftler, die sich nicht auf ein Vorgehen einigen können. Der Zwang zur Einigung mit dem Extremfall des Kompromisses hat jedoch etwas zutiefst Unwissenschaftliches. Oft waren es die größten Entdeckungen, die die Mehrheit zunächst für abwegig hielt. Bestimmt diese, was gemacht wird, wird manch wirklich Interessantes gar nicht erst untersucht. Solche ‚Demokratie‘, wenn sie Macht ausübt, ist Gift für die Kreativität.
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    Ich bin nicht geeignet für Tandem- oder Teamarbeit … Solche Isolation ist manchmal bitter …, aber ich fühle mich dafür kompensiert, da ich damit unabhängig sein kann von den Gebräuchen, Meinungen und Vorurteilen anderer, und versuche nicht, den Frieden meines Geistes auf solch schwankenden Fundamenten ruhen zu lassen. 36 – Albert Einstein
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    Verfolgt man die physikalischen Erkenntnisse seit Beginn von Big Science, lohnt auch ein Blick auf die Vergabe der Nobelpreise. Obwohl die Forschungsaktivitäten in der Nachkriegszeit explodiert sind, erachtete die Schwedische Akademie offenbar nur wenige aktuelle Entdeckungen als preiswürdig und griff schon ab den 1960er Jahren immer weiter in die Vergangenheit zurück. 37 Anstatt einzelner Arbeiten wurden mehr und mehr auch die Lebensleistungen der Laureaten gewürdigt. Obwohl hier ein Mangel an fundamentalen Ergebnissen der Physik sichtbar wird, ist die Lage für die Teilchenphysik noch geschönt. Denn angeblich verabredeten sich die acht

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