Auf dem Holzweg durchs Universum: Warum sich die Physik verlaufen hat (German Edition)
etablierten Modellen zuwiderlaufen, haben geringe Chancen auf Förderung, und wenn ein Querdenker sich dorthin wagt, gilt es als abwegig. Nur: Man muss vom normalen Weg abgehen, um über eine Entdeckung zu stolpern.
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Leute, die große Entdeckungen machen, schaffen es irgendwie, sich von konventionellem Denken zu befreien. – Anthony Leggett, Nobelpreisträger 2003
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Auf den Autobahnen der Wissenschaftslandschaft, auf denen sich die Masse der Wissenschaftler zu den Modethemen drängt, wächst nicht viel Kreativität. Bei Forschungsanträgen ist es üblich geworden, dass man schon vorher angeben muss, was herauskommt, spätere Entdeckungen sind eigentlich nicht vorgesehen. Kleinere Gruppen haben daher meist schon das geplante Resultat in der Schublade, sodass man mit dem Geld noch etwas Neues machen kann. Bei den ehrgeizigen Großprojekten unter intensiver Begutachtung ist dies natürlich kaum möglich. Derek de Solla Price, ein höchst origineller Wissenschaftshistoriker, pflegte daher an seine Veröffentlichungen folgende Bemerkung anzuschließen: 27 „Hier wird für keine Unterstützung von welcher Organisation auch immer gedankt, aber es wurde auch keine Zeit für das Schreiben von Anträgen verschwendet.“
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We’ve got no money, so we’ve got to think. – Ernest Rutherford, Nobelpreisträger für Chemie 1908
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Wie wurden die großen Fortschritte der Physik erzielt? Bei der Quantenmechanik dachte Niels Bohr nach und kombinierte – die von Max Planck entdeckte Naturkonstante h konnte ja auch anderswo Bedeutung haben –, und die Folge war eine Revolution der Atomphysik. Ein Geistesblitz ohne lange Rechnung, der komplette Gegenentwurf zur heutigen Theoretischen Physik. Bohr hörte der Natur zu, anstatt ihr mathematische Theorien einzureden, wie es bei den sogenannten Standardmodellen heute geschieht. Trotz teilweise langer Lebensdauer waren solche Modelle selten erfolgreich, und doch wuchert heute das Zusammenspiel von komplizierten Theorien und komplexen Experimenten immer weiter – kein Anbau an das Modell scheint zu viel, ein Fortschritt, der nur Gleichschritt ist. Statt Offenheit für Überraschungen sehen wir Filterung und Blickverengung, Gigantomanie statt Kreativität, Ehrgeiz statt Neugier, Gruppendenken statt Querdenker, Theorien, die sich ausbreiten statt einleuchten. Aber trotz der enormen Mittel, trotz langer Planung und aller Anstrengung sind wir Zeugen einer ermüdend langsamen Entwicklung. Kein gutes Zeichen.
BIG SCIENCE: VOM GRUPPENZWANG ZUR KOLLEKTIVEN VERDRÄNGUNG
Das aufwendigste Experiment der Menschheit, der Large Hadron Collider am CERN, beschäftigt, wenn man alle Gastwissenschaftler hinzurechnet, etwa zehntausend Forscher. Ein Forscher, Michael Faraday, der Entdecker der elektromagnetischen Induktion, notierte im Laufe seines Forscherlebens, das um 1810 als Buchbinder begann, in sein Laborbuch etwa zehntausend Experimente. Es ist sicher nicht ganz fair, diese Zahlen nebeneinander zu stellen. Aber kann man ernsthaft behaupten, die Wissenschaft arbeite noch unter den gleichen Bedingungen wie früher? Ist dies wirklich seit zweihundert Jahren das gleiche idealisierte Wechselspiel zwischen Theorie und Experiment, die gleiche ‚wissenschaftliche Methode‘? Es wäre töricht, die soziologischen und psychologischen Effekte auf den einzelnen Forscher zu leugnen, die dieser Wandel der Epochen mit sich brachte, aber sicher blieben auch die Ergebnisse der Physik nicht ganz unbeeinflusst. Denn Wissenschaft wird von Menschen gemacht.
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Sich die Geschichten und das Leben der wissenschaftlichen Gemeinschaft anzusehen ist wichtig für das Verständnis der Wissenschaft selbst. 28 – Robert P. Crease, Hochenergiephysiker
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Bei der Solvay-Konferenz 1927 diskutierten noch alle führenden Physiker miteinander – wahrscheinlich zum letzten Mal. Heute gibt es pro Jahr Hunderte von Konferenzen mit Zehntausenden von Teilnehmern. Die Physik hat sich in zahllose Teilgebiete aufgespalten. Für die Anwendung ist das sicher unvermeidlich, aber gilt dies auch für die Suche nach den fundamentalen Naturgesetzen.
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Es ist die Perfektion von Gottes Werken, dass sie alle mit der größten Einfachheit gemacht wurden. – Isaac Newton
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Hier taucht wieder die Frage nach der Einfachheit auf. Haben die Forschergruppen, die sich mit elementaren Fragen befassen, sich deswegen zersplittert, weil die fundamentale Physik nicht mehr einfach ist? Oder sieht die fundamentale Physik
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