Auf dem Holzweg durchs Universum: Warum sich die Physik verlaufen hat (German Edition)
tausend Tonnen Gestein in einem Bergwerk ein Milligramm zuviel erhält. Bei einer geplanten Kartierung des Himmels im Radiowellenbereich ist das unerwünschte Vordergrundrauschen der Milchstraße ‚nur‘ zehntausendfach größer, der Ehrgeiz, ein Signal aus dem Kosmos destillieren zu können, aber ebenso fragwürdig. Gerade bei denjenigen Daten, die ursprünglich sehr präzise sind, muss man die meisten Filterungen, Bearbeitungen und Mittelungen durchführen. Bei Kollisionen in der Teilchenphysik geht man davon aus, dass man Tausende von Umwandlungsprozessen genau versteht, und man versucht, sie in Computersimulationen zu beschreiben. Solange die Ergebnisse mit den Erwartungen harmonieren, sind sie allerdings uninteressant, erst die Unregelmäßigkeit gilt als spannend. Man jagt praktisch alle 41 Mozart-Sinfonien durch den Kamin, um zwei dissonante Noten zu ergattern. Wissenschaft? Heutzutage schon. Wir bilden uns ein, umso mehr über die Natur zu erfahren, je winziger die Effekte sind, die wir mit immer größerem Aufwand herausfiltern – eine Art von Homöopathisierung der Physik. Eigentlich handelt es sich um einen schleichenden Übergang zur Nichtfalsifizierbarkeit: Bei der Überprüfung dieses Fast-Nichts sind wir auf dem Weg dorthin, wo wir von gar nichts mehr alles wissen.
HALLUZINOGENE BEOBACHTUNGEN UND ECHTE ENTDECKUNGEN
Der Wunsch nach Entdeckung führt gelegentlich dazu, buchstäblich aus dem Nichts etwas herauszulesen. Carl Sagan, der durch seine Popularisierungen wohl eine ganze Generation von Astronomen geprägt hat, beschreibt in seinem Buch Cosmos , wie jemand allein aus der undurchsichtigen Wolkendecke der Venus folgert, es müsse darunter Leben geben. 25 Das ist natürlich Satire, bringt aber das Phänomen des Mit-Gewalt-sehen-Wollens auf den Punkt. Cosmos wäre eine lehrreiche Lektüre für manchen Forscher, der aus seinen Computersimulationen des ‚dunklen Zeitalters‘ Rückschlüsse auf die Frühzeit des Universums zieht. Die Computerrealität dient den Theoretikern oft als rosarote Brille. Wissenschaftlich sind fehlende Beobachtungen aber Alarmstufe Rot.
----
Das Schattenreich ist das Paradies der Phantasten. – Immanuel Kant
----
Lässt man die Wissenschaftsgeschichte Revue passieren, so fällt auf, dass viele revolutionäre Entdeckungen gemacht wurden, indem Forscher quasi darüber stolperten – etwa die Radioaktivität, der kosmische Mikrowellenhintergrund oder auch die Ionosphäre. Mit unbefangener Naturbeobachtung ließen die Entdecker diese Erkenntnisse zu sich kommen, im Kontrast dazu wollen heutige Wissenschaftsarchitekten mit aller Macht ihr Gedankengebäude errichten. Viele moderne Konzepte wurden mit großem Ehrgeiz und zielgerichteter Forschung an der Messgrenze verfolgt, konnten sich jedoch erst im Laufe von Jahrzehnten ‚etablieren‘, nachdem die Skeptiker irgendwann resigniert hatten. Eigentlich sollte es so sein, dass die Natur mit etwas überrascht – und man dann eine Theorie dazu entwickelt. Im Gegensatz dazu sorgte in den letzten Jahrzehnten oft die Theorie für die Überraschung – nämlich einen Widerspruch, für dessen Erklärung dann ein geeignetes Teilchen generiert wurde.
Echte Entdeckungen kommen meist aus heiterem Himmel. Dieses Phänomen geht weit über die Physik hinaus und wird nach dem Buch von Nassim Taleb auch als ‚schwarze Schwäne‘ bezeichnet: Niemand hat den Computer, das Internet oder die Quantenmechanik erwartet oder gar vorhergesagt.
----
Die Glühbirne ist nicht durch eine stetige Verbesserung der Kerze entstanden. – Unbekannt
----
Entsprechend tumb ging die etablierte Wissenschaft auch mit manchen Sensationen um: Gerd Binning, Nobelpreisträger und Erfinder des Rastertunnelmikroskops, wurde bei der Präsentation seines Gerätes ausgelacht; dem Erfinder des Lasers, Theodore Maiman, wurden Finanzmittel gestrichen, weil seine Entwicklung „keinen Anwendungsbezug“ hatte. Die Liste solcher Beispiele ist lang. 26
----
Jemand mit einer neuen Idee gilt so lange als Spinner, bis sich die Sache durchgesetzt hat. – Mark Twain
----
UND BIST DU NICHT WILLIG, SO BRAUCH ICH GEWALT
Weil Wissenschaft so wenig planbar ist, ist zweckgerichtete Förderung wahrscheinlich oft ein Hemmschuh des Fortschritts. Ein Projekt zur Erforschung der Dunklen Energie wird kaum zum Ergebnis haben, dass sie gar nicht existiert – obwohl das durchaus sein kann. Es gibt keine große Entdeckung der Physik, die vorher beantragt worden wäre. Neue Wege, die den
Weitere Kostenlose Bücher