Auf dem Holzweg durchs Universum: Warum sich die Physik verlaufen hat (German Edition)
wenn wir uns nicht sicher sind, beeinflusst uns die Meinung anderer besonders stark. [15] Das Verantwortungsgefühl des Individuums lässt nach, je mehr Personen beteiligt sind – schon viele sind ertrunken, weil eine Menschenmenge kollektiv auf einen mutigen Retter gewartet hat. Sobald die Masse unüberschaubar geworden ist, verhält sie sich meist irrationaler als der Einzelne. Daher sollten Sie vorsichtig sein, wenn ein Artikel mit den Worten beginnt: „It is generally believed that …“, denn das bedeutet, dass die Autoren nichts mehr hinterfragt haben.
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Jeder Narr glaubt das, was seine Lehrer ihm erzählen, und nennt seine eigene Leichtgläubigkeit genauso überzeugt Wissenschaft oder Moral, wie sein Vater sie göttliche Offenbarung nannte. – George Bernard Shaw
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Die gleiche Meinung wie der Chef zu haben, mag oft von Vorteil sein, der Wissenschaft nützt das eher wenig. Denn es fällt auf, dass gerade die größten Denker oft ein Problem mit der Autorität hatten. Évariste Galois, der bis zum sechzehnten Lebensjahr keine Schule von innen gesehen hatte, brachte es innerhalb eines Jahres mathematischer Lektüre zur Weltklasse; seine Lehrer bewarf er jedoch im Ärger auch mal mit einem Tafelschwamm. Léon Foucault, berühmt für sein Pendel, wurde mangels Fleißes und ordentlichen Betragens von der Schule verwiesen.
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Jeder wahre Mann muss lernen, in der Mitte von allen anderen allein zu sein, und notfalls gegen alle anderen. – Romain Rolland, Literaturnobelpreisträger 1915
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Einstein, schon als Student stur, redete einen Professor despektierlich als „Herr Weber“ an, und dieser rächte sich kleinlich damit, dass er Einstein seine Diplomarbeit noch mal auf das vorschriftsgemäße Papier schreiben ließ. Es gibt niemanden, den man über eine zufällige Rolle in seiner Biografie hinaus als Lehrer Einsteins bezeichnen könnte. Ähnlich liegt der Fall bei Newton (der einen schrecklichen Stiefvater hatte), Maxwell, Planck, Bohr und Schrödinger. Nur Heisenberg und Pauli profitierten maßgeblich von ihrem Mentor Arnold Sommerfeld. Kreativität verträgt sich schlecht mit Hierarchien. Die meisten Wissenschaftler haben heute einen Chef.
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Darin ist jedermann einig, daß Genie dem Nachahmungsgeiste gänzlich entgegen zu setzen sei. – Immanuel Kant
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BLOSS KEINE BLÖSSE GEBEN
Wenn Physiker miteinander kommunizieren wollen, müssen sie den Mut haben zu sagen: „Das verstehe ich nicht.“ Der Betreuer meiner Diplomarbeit hatte einmal einen Doktoranden, der scheiterte, weil er in allen Unterhaltungen nur verständnisvoll lächelnd mit dem Kopf nickte – er schämte sich, wenn er etwas nicht verstand. Jeder hat mehr Wissenslücken, als er gerne zugibt. Dann muss man aber sich selbst und dem Gesprächspartner eingestehen, wenn man etwas zwar gelernt, aber noch nicht wirklich durchdrungen hat – in der Physik liegt darin meist ein großer Unterschied. Ein solches Eingeständnis erfordert Vertrauen. So tauschen sich viele Physiker sogar in der eigenen Arbeitsgruppe nur oberflächlich aus, Nichtwissen zu offenbaren gilt als Schwäche, Halbwissen wird zur Sprachregelung.
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Das Halbwissen ist siegreicher als das Ganzwissen: Es kennt die Dinge einfacher, als sie sind, und macht daher seine Meinung fasslicher und überzeugender. – Friedrich Nietzsche
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Kommt ein hierarchisches oder intellektuelles Gefälle hinzu, wird der Effekt besonders deutlich. Man vertraut auf den erfahrenen oder anerkannt schnell rechnenden Kollegen, von dessen Integrität man sich durch persönliche Bekanntschaft überzeugt hat, und übernimmt seine Meinungen als physikalische Fakten. Aber ein Irrtum kann sich auf diese Weise ausbreiten wie ein Dominoeffekt.
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Fast alles, was Sie über Physik wissen, wissen Sie vom Hörensagen. Und selbst wenn Sie Physiker sind, ja sogar wenn Sie über Ihr Fachgebiet sprechen, ist Ihnen doch das allermeiste, worauf Sie sich beziehen, nur vom Hörensagen bekannt. Zu einem gewissen Grad ist dies unvermeidlich, aber es lohnt sich doch, darüber nachzudenken. Wir müssen uns auf Informationen unserer Mitmenschen verlassen, aber wie sehr?
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An allem zweifeln oder alles glauben sind gleichermaßen bequeme Lösungen. – Henri Poincaré, französischer Mathematiker
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Um überhaupt teilnehmen zu dürfen an der Kommunikation, müssen wir gelegentlich etwas tun: nachplappern. Dass zum Beispiel Analysen von Wirtschaftswissenschaftlern oft
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