Auf dem Holzweg durchs Universum: Warum sich die Physik verlaufen hat (German Edition)
dies jedermann zugänglich ist und nicht nur einem engen Kreis von Experten, ist eine Entwicklung in der Astronomie, die ich für sehr wichtig halte, weil sie ermöglicht, Daten unter vielleicht ganz neuen Aspekten auszuwerten. Denn es ist gefährlich, Beobachtungen mit zu vielen Annahmen aus den derzeitigen Theorien zu interpretieren – das betrifft alle Gebiete der Physik. Bei HORIZONS geht man etwa davon aus, dass sich ein Planet zwischen zwei Beobachtungspunkten nach den Kepler-Gesetzen auf einer Ellipse bewegt hat – weil sich die Orte auf der Bahn so wesentlich präziser angeben lassen als der einzelne Beobachtungspunkt. Umgekehrt führt eine solche Annahme dazu, dass wir gar nicht mehr überprüfen, ob es sich tatsächlich um exakte Ellipsen handelt. Optimal wäre es daher, wenn nicht nur die Daten, sondern auch jeder Auswertungsschritt offengelegt würde, sodass alternative Ideen ohne jegliche theoretische Annahmen überprüft werden können. Dazu müsste sich die Astronomie auf Standards von Datenbanken und Auswertungsprogrammen einigen, was natürlich noch ein weiter Weg ist.
MACH GEGEN EINSTEIN, BEIDE GEGEN NEWTON
Die hochempfindlichen modernen Weltraumteleskope verführen dazu, das Hauptaugenmerk auf Detailfragen zu richten, die durch die neuartige Präzision erst aufgeworfen werden. Dabei vergisst man vor Begeisterung manchmal, sich über grundlegende Dinge Gedanken zu machen, die von den derzeitigen Theorien nicht thematisiert werden. Ein konkretes Beispiel ist der kosmische Mikrowellenhintergrund, ein Signal aus der Frühzeit des Kosmos, das von den Sonden COBE, WMAP und neuerdings Planck vermessen wird. Einer Eigenschaft des Mikrowellenhintergrundes wird wenig Beachtung geschenkt: Wir können mit seiner Hilfe eine Geschwindigkeit bestimmen, mit der wir uns, die Erde und das Sonnensystem, durch das Weltall bewegen – bisher die einzige Beobachtung, die dies ermöglicht! Um dies zu würdigen, müssen wir nochmals die Gedanken von Newton, Mach und Einstein über den Raum vergleichen. Mach und Einstein waren sich einig, dass Newtons ruhender absoluter Raum nicht beobachtbar und daher sinnlos war. Mach nannte seine Gegenposition dazu Relativität, was für ihn bedeutete, dass die Naturgesetze nur von der Relativbewegung gegenüber allen anderen Massen abhängen konnten. Einsteins Spezielle Relativitätstheorie dagegen hat ihren Namen, weil sie in relativ zueinander bewegten Bezugssystemen die gleichen Naturgesetze fordert – die beiden gingen hier ganz unterschiedliche Wege. Einstein verallgemeinerte dieses Prinzip der Unabhängigkeit von Bewegung auf die Allgemeine Relativitätstheorie, indem er die Naturgesetze auch unabhängig von der Beschleunigung von Bezugssystemen formulieren wollte.
(7) Ernst Mach
Dahinter steckt die Beobachtung, dass ein Astronaut den freien Fall im Gravitationsfeld in gleicher Weise spürt wie ein unbeschleunigtes Schweben im schwerelosen Weltall. Mach hingegen vermutete auch hier, dass es auf die Beschleunigung relativ zu anderen Massen ankommt. Einstein kannte und schätzte diesen Gedanken sogar, er schrieb 1916: 51 „Der klassischen Mechanik … haftet ein erkenntnistheoretischer Mangel an, der vielleicht zum ersten Mal klar von E. Mach hervorgehoben wurde.“ Dennoch wurde Machs Kritik an Newton nicht Inhalt der Allgemeinen Relativitätstheorie, sondern lediglich eine Art Katalysator ihrer Entwicklung; zwischen Einstein und Mach blieb eine Diskrepanz, die bis heute ungeklärt ist. Einsteins Ansicht, dass es auf Bewegung und Beschleunigung des Bezugssystems nicht ankommt, ist weithin dominierend. Dafür spricht, dass weder die Bewegung der Erde noch die der Sonne durch Kräfte in Erscheinung treten. Nach Mach hingegen könnte dies einfach an der winzigen Masse des Sonnensystems liegen, während es möglich bliebe, dass Bewegungen und Beschleunigungen relativ zu allen Massen im Universum Kräfte hervorrufen.
RELATIVE WAHRHEITEN
Über unsere Bewegung relativ zu allen anderen Massen im Universum erteilt der kosmische Mikrowellenhintergrund also erstmals Auskunft – und er wird vielleicht irgendwann die Frage beantworten, ob Einstein oder Mach recht hatte. Wenn Sie dies Physikern erzählen, werden Sie meistens eine Mischung aus ungläubigem Lächeln und freundlicher Geringschätzung ernten. Denn Einsteins Ansatz, Naturgesetze überhaupt nur ‚symmetrisch‘, das heißt gleichgültig gegenüber Bewegungen und Beschleunigungen zu formulieren, durchzieht unter dem
Weitere Kostenlose Bücher