Auf dem Holzweg durchs Universum: Warum sich die Physik verlaufen hat (German Edition)
man konsequenterweise für die Zeit vermuten. Weil der Kosmos sich verändert, wäre es logisch, dass auch die Zeit nicht ganz gleichmäßig abläuft. Da das Universum schon sehr alt ist, würden sich solche Anomalien aber erst in entfernten Nachkommastellen bemerkbar machen.
KETZEREIEN VOM PAPST
Vielleicht haben Sie schon gehört, dass nach Einsteins Spezieller Relativitätstheorie bewegte Uhren langsamer ticken. Etwas weniger bekannt ist, dass der Gang der Uhren nach der Allgemeinen Relativitätstheorie auch von der Gravitation verlangsamt wird. Die Kombination dieser Effekte wurde übrigens spektakulär mit Atomuhren in Flugzeugen demonstriert. 56
Da Uhren in der Nähe von Massen langsamer laufen, liegt es eigentlich nahe, an dem Dogma der seit dem Urknall gleichlaufenden Zeit zu zweifeln. Kurz nach diesem Ereignis, wenn wir uns diese spekulative Rückreise in Gedanken erlauben, befanden sich schließlich sehr wenige Massen innerhalb des Horizonts, also im damals sichtbaren Universum, weil uns ihr Licht noch gar nicht erreichen konnte. Und entsprechend weniger Masse konnte durch ihre bloße Anwesenheit den Gang einer Uhr verlangsamen, wie wir dies heute in Sonnen- und Erdnähe beobachten.
Es ist nicht verwunderlich, dass Einstein der Erste war, der sich solche Gedanken erlaubte und dabei auch über die Lichtgeschwindigkeit nachdachte, deren besondere Rolle in der Physik ihn berühmt gemacht hatte. Ich beginne daher die Darstellung der Problematik gerne mit einem Zitat von Einstein höchstpersönlich – vor allem, um dem hysterischen Geschrei vorzubeugen, das sich im Allgemeinen erhebt, wenn man über ‚variable Lichtgeschwindigkeit‘ spricht. Denn das erste, wenngleich von keiner sachlichen und historischen Kenntnis angehauchte Argument, das man hört, lautet fast immer, dies widerspreche Einsteins Relativitätstheorie. Das ist keineswegs so, aber hören wir ihn zuerst selbst: 57
„Die Konstanz der Lichtgeschwindigkeit [kann] nur für Raum-Zeit-Gebiete mit konstantem Gravitationspotential Gültigkeit beanspruchen.“
Das bedeutete nichts anderes, als dass er die Schwerkraft selbst durch eine veränderliche Lichtgeschwindigkeit erklären wollte. Erstmals führte er 1911 in einem Artikel „Über den Einfluss der Schwerkraft auf die Ausbreitung des Lichtes“ die Idee näher aus: 58
„Aus dem …, daß die Lichtgeschwindigkeit im Schwerefelde eine Funktion des Ortes ist, läßt sich leicht mittels des Huygensschen Prinzipes schließen, dass quer zum Schwerefeld sich fortpflanzende Lichtstrahlen eine Krümmung erfahren müssen.“
(8) Albert Einstein
Einstein stellte sich also allen Ernstes vor, an verschiedenen Orten könnte die Lichtgeschwindigkeit unterschiedlich sein, [19] während sie an einem bestimmten Ort konstant bleibt, auch wenn man sie aus einem bewegten Bezugssystem betrachtet – die Spezielle Relativitätstheorie mit allen ihren Konsequenzen bleibt also gültig. Man sieht an dieser Stelle, dass ‚veränderliche Lichtgeschwindigkeit‘ mit Worten schwer zu präzisieren ist und mehreres bedeuten kann. Zum Beispiel wollen einige Versionen der ‚Quantengravitation‘ die Geschwindigkeit des Lichts von dessen Farbe abhängig machen – wie genau, sagt man lieber nicht, denn das würde die schöne Theorie ja der Gefahr einer Widerlegung aussetzen. Einstein hätte vielleicht noch eine Lachfalte mehr bekommen.
LICHTWELLEN: MASSSTÄBE DES UNIVERSUMS
Einsteins Überlegung ist im Gegensatz dazu durchaus konservativ und so einfach, dass man sie leicht nachvollziehen kann: Bei gleicher Wellenlänge ist die Lichtgeschwindigkeit proportional zur Frequenz, die ja angibt, wie viele Wellenberge pro Sekunde einen ruhenden Bezugspunkt passieren. Es ist also ganz natürlich, langsamer tickende Uhren in einem Gravitationsfeld mit einer geringeren Lichtgeschwindigkeit zu beschreiben. Warum Einstein bei dieser Idee nicht blieb – dazu im letzten Abschnitt noch mehr. Hat man so den ersten Einwand gegen eine variable Lichtgeschwindigkeit widerlegt, wird gewöhnlich der nächste vorgebracht: Wenn das schon nicht grundfalsch sei, dann doch wenigstens gänzlich überflüssig.
Unter theoretischen Physikern ist die Unsitte verbreitet, physikalische Einheiten wegzulassen, weil man so bequemer rechnen kann. Sie seien in der Physik entbehrlich. Man muss kein Genie sein, um an den historisch bedingten Definitionen des Meters oder der Sekunde eine Willkür zu erkennen; der Zahlenwert als solcher hat natürlich keine
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