Auf dem Holzweg durchs Universum: Warum sich die Physik verlaufen hat (German Edition)
übrigen in der Welt vorhandenen Körper entgegenwirkte. 60 – Albert Einstein
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Man muss angesichts dieser Sonderstellung der Gravitation einen kurzen Seitenblick auf das Standardmodell der Teilchenphysik werfen, in dem das Phänomen Gravitation komplett ignoriert wird: Zu schwierig, wir sind nicht zuständig! Und obwohl man die Schwerenatur der Masse völlig ausklammert, versucht man ihre Trägheitseigenschaften mit dem sogenannten Higgs-Teilchen zu beschreiben, um im Standardmodell wenigstens einen Grund für die pure Existenz von Masse zu schaffen. Die Higgs-Idee mag ja zu kunstvollen Rechnungen führen – aber was für eine blauäugige Bastelei in ihrer Beschränkung auf einen Teil der Physik! Erklärt wird selbst durch den Nachweis des Teilchens nichts. In einem Vortrag eines Max-Planck-Direktors an der Universität München über die ersehnten Entdeckungen des Large Hadron Collider fragte eine kluge Studentin, was man denn von dem Higgs-Teilchen über das Äquivalenzprinzip lerne. Die Antwort, in ihrem Enthusiasmus für die große Maschine am CERN von keiner Nachdenklichkeit angekränkelt, speiste die Studentin salbungsvoll mit einer Oberflächlichkeit ab und erweckte den Eindruck, als sei die Frage naiv und nicht der Vortragende. Solche Szenen bringen einem das Blut in Wallung und lassen befürchten, dass manche unserer vermeintlichen Fortschritte in Wirklichkeit eine Generation von Physikern am Nachdenken hindern.
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So lästig nämlich auch die offene Frage sein mag, wenn sie durch eine Ausrede beseitigt ist, entfällt auch die Notwendigkeit, über die Sache nachzudenken. – Erwin Schrödinger
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Die Geringschätzung von Ideen wie dem Machschen Prinzip rührt auch daher, dass es keine einheitliche Formel dazu gibt, mit der sich die heutzutage rechensüchtige Theoretische Physik beschäftigen könnte. Man bildet sich dort seit Jahrzehnten ein, Virtuosität in Algebra könne Denken ersetzen. Dabei wurden alle echten Ergebnisse der Physik mit relativ wenig Mathematik, dafür mit umso tieferer Reflexion über grundlegende Prinzipien erreicht. Den Gedanken Machs genau zu formulieren, wäre eine echte Herausforderung, umso mehr, als heute die experimentellen Techniken eine Präzision erreichen, die den vermuteten Zusammenhang mit dem Kosmos vielleicht aufzuspüren hilft.
ALLES HÄNGT AN EINEM PLANETEN
Zur Untersuchung der schweren Masse ist die Erde ein großartiges Labor, und ihr Gravitationsfeld wurde in letzter Zeit durch Satelliten wie GRACE und GOCE exakt vermessen. Dies ist nicht nur für geologische Fragen wichtig, sondern auch notwendig, um unliebsame Störungen durch die Unregelmäßigkeiten der Erdkugel von Effekten des Gravitationsgesetzes zu unterscheiden. Aber auch auf der Erdoberfläche gibt es tolle Geräte wie etwa supraleitende Gravimeter – sie spüren sogar die Abnahme der Erdgravitation in wenigen Millimetern Höhe. Mit derartiger Technik kann man vielleicht in Zukunft winzigen Effekten auf die Spur kommen, die Mach recht geben könnten. Das Thema ist höchst spannend.
Bemerkenswert ist übrigens, dass wir die Masse unseres Heimatplaneten nur indirekt bestimmen können – indem man die winzige Gravitationskraft zwischen zwei Probekörpern im Labor misst und mit der Erdanziehung vergleicht. Dieses Experiment, das Newton selbst noch für unmöglich gehalten hatte, wurde 1798 erstmals von Henry Cavendish durchgeführt und legt nicht nur die Masse der Erde fest, sondern auch die Massenskala des ganzen Universums! Über die relative Verteilung der Massen im Erdinneren geben Erdbebenwellen Auskunft, deren Geschwindigkeiten von der Dichte abhängen. Bei der Gesamtmasse der Erde müssen sich die Geologen jedoch auf das Gravitationsgesetz verlassen. Etwas verwunderlich ist in ihrem Modell vielleicht die abrupte Zunahme der Dichte an der Grenze von Erdkern und Erdmantel von 6 Tonnen pro Kubikmeter auf 10, doch wird man hier keinen fundamentalen Fehler vermuten. Schon irritierender ist die seit fast zwei Jahrzehnten andauernde Kontroverse um den genauen Wert der Gravitationskonstanten G, der seit den inzwischen zweihundert Jahre alten Experimenten kaum verbessert wurde. Denn 1995 wurde bekannt, dass eine Messung, auf die die Fachwelt über fünfzehn Jahre lang vertraut hatte, eine systematische Fehlerquelle enthielt. 62 Bis heute dauert die Diskussion über den richtigen Wert an. 63 Die präzisen Beobachtungen der Planetenbahnen zeigen uns übrigens nur die Massen verhältnisse der
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