Auf dem Holzweg durchs Universum: Warum sich die Physik verlaufen hat (German Edition)
plötzlichen Eingebung folgend, stellte Oersted die Nadel endlich so auf, dass sie auch die scheinbar widersinnige, senkrechte Orientierung einnehmen konnte, was sie dann auch prompt tat: Das merkwürdige Naturgesetz, das dem Magnetismus zu Grunde liegt, hatte sich endlich offenbart. Sofort verbreitete sich die Nachricht in Europa, und Oersted wurde über Nacht zur Berühmtheit. Die Auswirkungen seiner Entdeckung auf unsere gesamte Zivilisation konnte aber noch kaum jemand ermessen.
Ein Wettrennen der klügsten Köpfe um die Konsequenzen von Oersteds Experiment begann. André-Marie Ampère formulierte die Gesetze des Magnetismus, und Michael Faraday führte das wichtige Konzept des elektrischen Feldes ein, mit dem der geniale James Clerk Maxwell die Theorie der Elektrodynamik 1865 zum Abschluss brachte. Das elektrische Feld stellt man sich am besten als unsichtbare Linien im Raum vor, die von jeder elektrischen Ladung ausgehen. Wie an einer Perlenkette sind daran Pfeile, Vektoren genannt, in Richtung der Linien aufgereiht, welche die Kräfte symbolisieren, die auf andere Ladungen ausgeübt werden. Der Durchbruch gelang Maxwell, als er in seinen Gleichungen den Zuwachs dieser elektrischen Feldlinien gleichberechtigt neben die Bewegung echter Ladungen stellte. So formuliert, sagte die Theorie plötzlich die Existenz elektromagnetischer Wellen voraus, die durch wechselseitige Beeinflussung des elektrischen und magnetischen Feldes entstehen. 1888 wurden diese Wellen durch Heinrich Hertz nachgewiesen – und damit der Energietransport durch den Raum, der damals als wahrer Zauber erschien. Vor allem gelang Hertz auch die Messung der Übertragungszeit, und er bestätigte damit Maxwells kühne Vorhersage, dass sich die Wellen mit Lichtgeschwindigkeit bewegten.
Der wirkliche Zauber dieser Vereinigung liegt darin, dass eine der Fundamentalkonstanten – jene rätselhaften Zahlenbotschaften der Natur – damit enträtselt wurde: Während vorher die Konstanten der Elektrizität und des Magnetismus, [22] ε 0 und μ 0 , ihre Eigenständigkeit besaßen und durch unabhängige Messungen geadelt wurden, sind sie heute mittels Maxwells Formel = c 2 Lakaien der Lichtgeschwindigkeit c. Und die Vereinigung war äußerst fruchtbar: Magnetismus wurde damit verstanden – und gleichzeitig konnte man die bunten Erscheinungen des Lichts als elektromagnetische Wellen beschreiben. Die Erkenntnisse passten wie fehlende Puzzlestücke zu der bekannten Beobachtung, dass die Wellenlänge des Lichts als Farbe wahrgenommen wird – in einem kleinen Bereich des Spektrums, für den das Auge empfindlich ist. Wie Licht von den Quellen der Elektrizität, den geladenen Elektronen, beeinflusst wird, ist allerdings auch heute, fast zweihundert Jahre nach Oersted, noch nicht genau verstanden.
DIE WICHTIGSTE FORMEL, DIE WIR NICHT KENNEN
Heinrich Hertz konnte nur deshalb Wellen in den leeren Raum aussenden, weil er elektrische Ladungen in einer Antenne zum Schwingen brachte. In jeder Antenne, zum Beispiel auch in Ihrem Handy, führen Elektronen solch eine periodische Bewegung aus. Die Änderung der Geschwindigkeit in den Umkehrpunkten, die sich notwendig ergibt, nennen Physiker Beschleunigung. Wann immer elektrische Ladungen beschleunigt werden, müssen sie nach den Maxwellschen Gleichungen elektromagnetische Wellen aussenden – es bleibt ihnen nichts anderes übrig, ähnlich wie einem in eine Pfütze geworfenen Stein. Daher musste man auch die zu simple Vorstellung aufgeben, im Atom umkreise ein Elektron den Kern – denn allein durch die Beschleunigung aufgrund der Zentripetalkraft käme es zu einer Abstrahlung und somit zu einem Energieverlust. Hingegen führt eine gleichförmige Geschwindigkeit einer Ladung allein noch nicht zu einer Abstrahlung von Wellen.
Die angenehmste Abstrahlung elektromagnetischer Wellen ist sicher das Licht der Sonne: Auf ihrer Oberfläche bewegen sich geladene Teilchen sehr schnell und sind daher heftig beschleunigt. Max Planck war es 1900 gelungen, die dadurch verursachte Lichtabstrahlung in einer Formel auszudrücken, die allein von der Temperatur abhängt. Seine Entdeckung löste ein Erdbeben in der Physik aus, weil sie die Existenz von Lichtteilchen, auch Photonen genannt, nahelegte. Merkwürdigerweise ist die kollektive ungeordnete Abstrahlung von vielen Ladungen leichter zu verstehen als die einer einzelnen, etwa eines beschleunigten Elektrons.
Stellen Sie sich nun vor, Sie kennen die Beschleunigung einer einzelnen
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