Auf dem Holzweg durchs Universum: Warum sich die Physik verlaufen hat (German Edition)
ist. Denn das Anpassen der experimentellen Techniken, um die gewünschten Resultate zu erzielen, und statistische Fehlinterpretationen sind keineswegs selten. Letztlich liegt es wohl an der sehr klar definierten Art des Signals, dass es nicht dazu gekommen ist. Die geforderte Beobachtung an verschiedenen Orten zu genau festgelegten Zeitpunkten stellte eine unschätzbar hohe Hürde dar, Artefakte fälschlicherweise als die gesuchten Wellen zu interpretieren. Wissenschaftshistorisch betrachtet ist es eine viel größere Katastrophe, wenn ein nicht existierender Effekt fälschlicherweise als entdeckt gilt, als wenn man einen kleinen Effekt noch nicht findet – vom Weg abzukommen ist viel schlimmer, als lange nach dem rechten suchen zu müssen.
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Man hüte sich vor falschem Wissen; es ist gefährlicher als Unwissen. – George Bernard Shaw
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Insofern könnte die Suche nach Gravitationswellen zu einer unscheinbaren, ermüdend langen, aber schließlich großen Erfolgsgeschichte der Forschung werden – wenn man sich darauf besinnt, dass Wissenschaft ergebnisoffen arbeiten muss. „Irgendwann in der nicht so fernen Zukunft wird man übereinstimmen, dass Gravitationswellen entdeckt worden sind“, leitet Harry Collins seine Beschreibung des Forschungsgebietes in Gravity’s Shadow ein. 122 Soziologisch betrachtet ist das nur ein kleiner Unterschied zu der Aussage „Irgendwann werden Gravitationswellen entdeckt werden“. Man kann nur hoffen, dass wissenschaftlich daraus kein großer Unterschied wird.
ACHTZIG JAHRE UND KEIN BISSCHEN SICHTBAR: DIE SPURENSUCHE NACH DER DUNKLEN MATERIE
Schon 1932 fiel dem niederländischen Astronomen Jan van Oort auf, dass sich am Rande der Milchstraße mehr Masse befinden muss, als durch Sternzählungen zu erwarten war. Zu einem ähnlichen Schluss kam ein Jahr später Fritz Zwicky in Pasadena, sagte dies aber noch deutlicher: Er hatte die Geschwindigkeiten im Coma-Galaxienhaufen gemessen und war verwundert, dass sich diese Ansammlung noch nicht aufgelöst hatte: Die Gravitationsanziehung der sichtbaren Galaxien war fast hundertfach zu klein, um sie zusammenzuhalten. Daher vermutet man heute dort weitere Masse, die nicht leuchtet, sogenannte Dunkle Materie. Das Problem zu dieser Zeit überhaupt zu erkennen, erforderte eine Kombination aus sorgfältiger Beobachtung und kreativer Überlegung. Dennoch wurde Zwicky damit nicht besonders ernst genommen – er versprühte eine Menge Ideen, von denen sich einige nicht bewahrheiteten, und galt nicht gerade als umgänglich. So bezeichnete er Kollegen am Mount-Wilson-Observatorium als „sphärische Bastarde“ und erläuterte auf Nachfrage gerne jedem, der die Beleidigung nicht ganz verstanden hatte: „Sphärisch, weil sie Bastarde sind, egal von welcher Seite man hinschaut.“ Seinen Chef Robert Millikan, immerhin Nobelpreisträger, ärgerte Zwicky angeblich mit dem Vorwurf, er hätte „noch nie eine gute Idee gehabt“. 123 Zwicky war jedoch seiner Zeit weit voraus, denn erst 1957 stolperten niederländische Radioastronomen wieder über das Problem der ‚fehlenden Masse‘. Einer von ihnen, Hendrik van Hulst, beobachtete die sogenannte 21-Zentimeter-Line, eine Mikrowellenstrahlung, mit der sich Wasserstoffwolken zu erkennen geben. Dabei fiel ihm bei der Vermessung unserer Nachbargalaxie Andromeda auf, dass sie in den äußeren Teilen viel Masse, aber wenig Leuchtkraft zu besitzen schien.
(12) Fritz Zwicky
Allerdings galten damals die Radioastronomen in ihrer Zunft als Exoten, deren neuartigen Instrumenten die konservativen Astronomen des sichtbaren Lichts noch nicht recht trauten. So wurde Anfang der 1960er Jahre das Problem der ‚fehlenden Masse‘ gelegentlich erwähnt, aber nicht als Krise angesehen. Interessanterweise erkannten aber schon damals einige Forscher, dass die Bestimmung der Masse nur indirekt erfolgt, wobei man die Gültigkeit des Gravitationsgesetzes voraussetzt. So kann man auch auf die Idee kommen, dass dieses nicht ganz richtig sein könnte.
TELESKOPE IN DECKUNG, DIE THEORETIKER KOMMEN
Das Bewusstsein für die ‚fehlende Masse‘ nahm zu, als die ersten Computermodelle die Bewegungen in einer Scheibengalaxie grob simulieren konnten. Die meisten Galaxien im Universum, wie übrigens die Milchstraße auch, haben eine erstaunlich platte Form, [41] bei der der Durchmesser bis zu fünfzig Mal so groß ist wie die Dicke, sieht man von einer Beule im Zentrum ab, dem ‚Bulge‘. Die Programme, die man mit so einer
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