Auf dem Holzweg durchs Universum: Warum sich die Physik verlaufen hat (German Edition)
sobald das Problem in der richtigen Weise angepackt worden ist. – Paul Feyerabend, Wissenschaftsphilosoph
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Erlaubt man sich solche Zweifel, so ist nicht einmal klar, ob sich Gravitationswellen unbedingt mit Lichtgeschwindigkeit ausbreiten müssen. Wie im zweiten Abschnitt schon erwähnt, verdienen die Äthertheorien des 19. Jahrhunderts eigentlich mehr Beachtung, als ihnen heute zuteil wird. In so einem elastischen Kontinuum würde die transversale Schallgeschwindigkeit der Lichtgeschwindigkeit entsprechen, aber in jedem realen Körper gibt es auch eine longitudinale Schallgeschwindigkeit, die größer als die transversale ist – bei Erdbeben ist dieser Unterschied als Primär- und Sekundärwelle bekannt. Natürlich weiß man nicht, ob die Analogie zutrifft, aber solange einige Grundlagen der Gravitation noch im Dunkeln liegen, könnten sich Gravitationswellen auch schneller ausbreiten als Licht. Und ebenso gut könnte es sein, dass es gar keine Gravitationswellen gibt, weil das ganze Konzept auf einem Missverständnis über die wahre Natur der Wechselwirkung beruht. Versucht man zum Beispiel, die Gravitation über eine räumlich veränderliche Lichtgeschwindigkeit zu beschreiben, ähnlich wie es Einstein 1911 versucht hat, wäre das Konzept der Gravitationswellen eigentlich widersinnig: Vielleicht hat Gravitation auch eine sofortige Fernwirkung, und von einer Ausbreitung kann keine Rede sein – denkt man an eine Vereinigung der Kräfte, wäre es sogar logischer, wenn es neben Licht gar keine anderen Wellen gäbe. Viel zu oft werden solche Möglichkeiten dogmatisch verboten. Wir wissen es einfach nicht.
DAS MESSEN MUSS WEITERGEHEN
Eigentlich sollte man die Nachricht, dass die erwarteten Gravitationswellen der Pulsare nicht gefunden wurden, erst mal etwas verdauen und sich dann fragen, wie es weitergeht. Aber eine Forschergruppe schreibt fast trotzig: 121 „Der Hauptzweck der Diskussion ist, vielversprechende wissenschaftliche Ziele für die dritte Generation von Detektoren aufzustellen.“ Aber ist es Sinn der Wissenschaft, Ideen zu finden für ihre Messungen? War es nicht umgekehrt?
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Zum Teil wegen der gewaltigen Kosten, die im Spiel sind, ersetzt heute die Förderung durch die Regierung intellektuelle Neugier. – Dwight D. Eisenhower, US-Präsident
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Trotzdem sind hier künftige Experimente wichtig. Das Prinzip des Interferometers soll im Weltraum mit der Laser Interferometer Space Antenna , kurz LISA, realisiert werden, einem System von Raumsonden in einer Umlaufbahn um die Sonne, die einen Abstand von fünf Millionen Kilometern haben werden. Mit dieser gewaltigen Verlängerung der Arme von vier Kilometern erwartet man also eine drastische Verbesserung der Messgenauigkeit, mit der man dann wirklich Gravitationswellen finden muss – alles andere würde die meisten Forscher schockieren. Ich bin trotzdem gespannt.
LISA ist aber schon deshalb ein unersetzliches Projekt, weil damit auch andere Präzisionstests der Allgemeinen Relativitätstheorie durchgeführt werden. Allerdings wäre es nach einem halben Jahrhundert Gravitationswellenforschung Zeit, eine Zwischenbilanz zu ziehen – im Schachspiel besagt die Remisregel, dass eine Partie nach fünfzig Zügen nicht mehr interessant ist, wenn nichts passiert ist, also keine Figur geschlagen und kein Bauer gezogen wurde. In der Physik ist dies sicher nicht so einfach, aber man sollte vielleicht trotzdem darüber nachdenken, ab wann man einen nicht erreichten Nachweis überhaupt im Sinne der Nichtexistenz von Gravitationswellen werten will.
Es ist ein ganz allgemeines Problem der Falsifizierbarkeit in der Physik: Während die Entdeckung eindeutig zu sein scheint, gibt es für die Nichtentdeckung immer eine Vielzahl von Gründen. Die Hoffnung stirbt zuletzt. Es ist vielleicht verständlich, zunächst anzunehmen, nur ein Teil des Energieverlustes der Pulsare setze sich in Gravitationswellen um – aber ab welchem Prozentsatz wird dies zur Ausrede? Daher muss man dieses Verfehlen des vorhergesagten Ziels sehr ernst nehmen. Beispiele, in denen die Nichtentdeckung durch immer neue Hilfpothesen entschuldigt wird, ohne dass man an der Existenz zweifelt, gibt es leider genug.
BESSER SO
Nach der Lektüre von Gravity’s Shadow oder Constructing Quarks von Andrew Pickering könnte man sich sogar wundern, dass in der langen Geschichte der Suche nicht bereits eines der zahlreichen diskutierten Signale als Entdeckung von Gravitationswellen erklärt worden
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