Auf dem Holzweg durchs Universum: Warum sich die Physik verlaufen hat (German Edition)
unsichtbaren Teilchen höchst willkommen ist. So hört man sogar gelegentlich, Theorien würden entsprechende Teilchen ‚vorhersagen‘. Das Rätsel der Dunklen Materie, besser gesagt der entsprechenden Anomalien, haben allerdings die Astronomen schon alleine losgetreten. Robert Sanders verwahrt sich deswegen gegen die Vereinnahmung: „Kein Physiker hat jemals die Astronomen gebeten, nach den gravitativen Signaturen von Dunkler Materie Ausschau zu halten“, und er formuliert weiter poetisch: 136
„Die Kosmologen und theoretischen Physiker waren Fremde in der Nacht, die sich fanden, ihr wechselseitiges Bedürfnis nach einer wichtigen neuen Komponente des Universums entdeckten und so ein neues Forschungsgebiet ausbrüteten: Astroteilchenphysik.“
Kurz, es haben sich hier nicht ähnliche Konzepte getroffen, wie man allenthalben hört, sondern synchrone Unwissenheit. Dagegen ist die beobachtende Seite der Astroteilchenphysik hochinteressant: In den nächsten Jahrzehnten wird der Himmel auf allen Wellenlängen von Gammastrahlen bis zu Radiowellen noch genauer vermessen, und dazu werden Teilchen aus dem Kosmos detektiert – wir können gespannt sein. Eine ganze Serie von Experimenten sucht zudem nach dem Dunkle-Materie-Teilchen. Dass für die Astrophysik so eine wohlfeile Lösung unzureichend ist, hindert die Geschäftigkeit freilich wenig.
UNTERIRDISCHE GENAUIGKEIT
In Untergrundlaboren wie im Gran Sasso in den Abruzzen suchen die Experimente CRESST und CDMS mit hochempfindlichen Thermometern in einer ultrakalten Umgebung nach neuartigen Teilchen. Das DAMA/LIBRA-Experiment behauptet schon seit geraumer Zeit, Hinweise auf Dunkle Materie gefunden zu haben, allerdings in einem Energiebereich, in dem andere nichts feststellten. Die meisten Experimente versuchen, Teilchen der Dunklen Materie durch ihren Rückstoß zu identifizieren, denn nach der gängigen Vorstellung rast unser Sonnensystem ja mit 220 Kilometern pro Sekunde durch einen ‚Halo‘ von dunklen Teilchen um das Milchstraßenzentrum.
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Besonders aber laßt genug geschehen! Man kommt zu schaun, man will am liebsten sehn! – Johann Wolfgang von Goethe, Faust, Vorspiel auf dem Theater
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Die Rückstoßtechnik leidet allerdings unter einem grundlegenden Problem: Man kann nicht eindeutig entscheiden, welche Stöße von normalen irdischen Neutronen verursacht werden, die unvermeidlich durch die kosmische Höhenstrahlung entstehen. Also versucht man, mit theoretischen Modellen das störende Hintergrundsignal herauszurechnen, eine sogenannte Kalibration, die oft unter naiven Annahmen geschieht. Der Kernphysiker John P. Ralston von der Universität Kansas hat diese Methoden jüngst in einem Artikel 137 detailliert zerpflückt: So wird schon in dem einfachen Fall der elastischen Stöße zwischen Neutronen mit einer viel zu simplen Formel gerechnet, so als handelte es sich um kleine Billardkugeln. Noch bedenklicher ist die Annahme, nur schnelle Neutronen könnten Reaktionen mit anderen Kernen hervorrufen. Das ist nicht nur unzutreffend, sondern Vergleichsmessungen mit langsamen Neutronen existieren überhaupt nicht. [46] Nicht einmal die Daten der verwendeten Detektormaterialien gehen in die Simulationen ein. Es ist ungefähr so, als würde der TÜV bei allen seinen Bremstests die Daten von Gokarts zu Grunde legen. Da kann eigentlich nichts passieren.
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Der saubern Herren Pfuscherei / Ist, merk ich, schon bei Euch Maxime. – Johann Wolfgang von Goethe, Faust, Vorspiel auf dem Theater
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Durch einen Vortrag an der Universitätssternwarte in München bin ich auf die Resultate der CRESST-Kollaboration aufmerksam geworden, die behauptet, ein paar Dutzend Ereignisse gefunden zu haben, die auf Dunkle-Materie-Teilchen hindeuten. 138 Das wäre sicher ein bemerkenswertes Ergebnis, und während der Präsentation strahlte der Sprecher auch über das ganze Gesicht. Später unterhielt ich mich mit ihm über den Neutronenhintergrund. Er war sehr nett und ehrlich überzeugt von seinen Ergebnissen; dass Ralston die methodischen Mängel in Generationen von Doktorarbeiten seziert, ärgert ihn aber so, dass er dessen Artikel gar nicht richtig liest. Die Argumente, ob nun niederenergetische Neutronen da sein können oder nicht, drehen sich also im Kreis, ohne dass CRESST die Sache mit einer Kalibration konkret überprüfen will, so wie Ralston es vorschlägt.
Solches Ausblenden ist leider kein Einzelfall, sondern passiert immer dann, wenn Gruppendenken bezüglich
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