Auf dem Holzweg durchs Universum: Warum sich die Physik verlaufen hat (German Edition)
Physik hat wirklich neue Horizonte erreicht.
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Es wurde das Ziel der Physiker, ein perfektes System zu finden und im Nachhinein zu erklären, warum sich die Perfektion vor unseren Augen verbarg. 183 – David Lindley
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UNERWÜNSCHTE EINMISCHUNG DES EXPERIMENTS
Eine höchst originelle Wendung der ganzen Angelegenheit, die inzwischen in Vergessenheit geraten ist, trug sich Ende der 1970er Jahre zu: Damals wurden nämlich isolierte Quarks intensiv gesucht – und gefunden! Nach der Theorie sollten Quarks elektrische Ladungen wie e haben, und so bauten mehrere Arbeitsgruppen Abwandlungen von Robert Millikans legendärem Experiment auf, mit dem jener im Jahr 1910 die Quantelung der Elementarladung e gezeigt hatte. Mit den neuen Versuchen erreichte man eine zehnmillionenfach höhere Sensibilität als Millikan, aber die Details waren nicht leicht zu interpretieren. Während eine Gruppe aus Genua keine Hinweise auf Bruchteile von Ladungen fand, behaupteten Forscher aus Stanford 1977 genau dies, 184 worauf sich eine heftige Debatte entspann. Am Ende konnten sich die Ladungsbruchteile nicht durchsetzen, jedoch ist es hochinteressant, die Kontroverse in einem Artikel von Andrew Pickering 185 zu verfolgen. Hier wird mit einem praktischen Beispiel der Glaube widerlegt, ein Experiment sei ein vollkommen kontrollierbares System, das die Realität objektiv abbildet. Vielmehr liegt es auch in der Hand des Experimentators, und darin besteht oft gerade sein Geschick, Techniken auszuprobieren, die sich für die gesuchten Phänomene als erfolgreich erweisen. In dieser Auswahl der Methoden liegt aber auch die Tücke, mit der die Produktion physikalischer Fakten kämpft. Wie ist es sonst erklärbar, dass die Gruppe aus Stanford offenbar fälschlicherweise Werte wie,usw. für die Ladung erhielt und nicht andere Bruchteile, während die Gruppe aus Genua auch Abweichungen fand, diese aber anders interpretierte? Wer die Veröffentlichungen liest, wird bei beiden Gruppen an der Kompetenz und Fähigkeit zur selbstkritischen Prüfung nicht den geringsten Zweifel haben. Aber Fehler – man sollte es eigentlich nicht so nennen – passieren trotzdem.
Einem Skeptiker schlägt oft Empörung entgegen, weil ihm unterstellt wird, er unterstelle den Experimentatoren Inkompetenz oder gar Unredlichkeit. Aber solange Menschen forschen, wird es immer wieder passieren, dass die gleiche Realität zu unterschiedlichen physikalischen Fakten wird. Leider gelten solche experimentellen Diskrepanzen in der realitätsfetischistischen Wissenschaft als anrüchig, und deswegen wird wohl einiges unter den Teppich gekehrt. Traurig an der vorliegenden Geschichte ist, dass die Anstrengung um die Bruchteile von Ladungen verlorene Mühe war, denn die Theoretiker wollten inzwischen in ihrer Ideologie des Confinement nicht mehr gestört werden. Die Experimentatoren waren lästig geworden wie ehrliche Finder, die einem Gauner das weggeworfene Portemonnaie nachtragen, aus dem er das Geld schon entwendet hat.
Versichert gegen die Möglichkeit, dass Drittelladungen doch noch gefunden werden, hat sich der Vater der Quarks, Murray Gell-Mann: Er forderte dazu auf, nach Quarks zu suchen, um die Nichtisolierbarkeit zu beweisen. So machte er sich selbst entweder zum Propheten des Confinement oder gar zum Schöpfer der neuen Objekte, in jedem Fall eine ruhmreiche Rolle. In dieser sah er sich ganz gewiss selbst – sein Buch The Quark and the Jaguar weist ihn im Klappentext als Einstein der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts aus. Der Plunder, in den sich die Teilchenphysik in dieser Epoche verwandelt hat, lässt ihn bestenfalls als Ptolemäus der Moderne erscheinen. Gell-Mann war jedenfalls von Selbstzweifeln nicht angekränkelt, als er über Einsteins einheitliche Feldtheorie und dessen im Alter angeblich nachlassende Fähigkeiten räsonierte. Der war damals immerhin zwanzig Jahre jünger als Gell-Mann, als dieser über die bloße Hoffnung auf eine einheitliche Stringtheorie schrieb. 186 Da reichte es nur noch zum Nachbeten. Ja, vielleicht tue ich Ptolemäus unrecht.
DER LETZTE TANGO AM CERN: WARUM NICHT WIRKLICH ETWAS ENTDECKT WIRD
Selten waren die Erwartungen an ein Experiment so hochgesteckt wie beim Large Hadron Collider , kurz LHC, dem leistungsfähigsten Teilchenbeschleuniger der Welt. Das jahrelange Warten ist offenbar manchen nicht gut bekommen. Hören wir uns zum Beispiel an, was Michio Kaku, einer der prominentesten Physiker überhaupt, in einem Interview bei Fox
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