Auf dem Holzweg durchs Universum: Warum sich die Physik verlaufen hat (German Edition)
des Top-Quarks kann das Standardmodell übrigens nicht erklären, wie es auch sonst keine Massen erklären kann. Was sagt ein Teilchenphysiker dazu? „Die enorme Masse des Top-Quarks macht auch seine Zerfälle zu einem fruchtbaren Feld für die Suche nach neuen Teilchen.“ 181 Für die Zukunft muss gesorgt werden.
BUNTER BAUKASTEN
Besonders anstrengend finde ich, wenn dann auch noch behauptet wird, das Standardmodell könne Quark-Massen berechnen. So redete einmal nach einem Vortrag ein Zuhörer auf mich ein, welche immensen Fortschritte man dabei gemacht habe, sodass mir herausrutschte: „Das plappern Sie doch nach!“ Er regte sich ziemlich auf, und da er tatsächlich in seiner Doktorarbeit die Rechnungen selbst gemacht hatte, entschuldigte ich mich sogleich für die unpassende Wortwahl und war neugierig, mit welchem Ansatz er an das Problem herangegangen war. Aber auch nachdem sich unsere Gemüter wieder abgekühlt hatten, blieb er doch die Antwort schuldig, wie sich denn das Resultat in Zahlen ausdrückt und messen lässt. Es geht einfach nicht. Auch der beste Rechner kann mit dem Standardmodell keine Massen vorhersagen – dies liegt, wie wir noch sehen werden, am derzeitigen System der Naturkonstanten.
Wenn Sie nun hoffen, die Komplizierung sei mit sechs Quarks und ihren Antiteilchen beendet, muss ich Sie leider enttäuschen. Schuld daran ist – Wolfgang Pauli. Nein, nicht dass ihm Komplizierung sympathisch gewesen wäre, im Gegenteil, aber eine von ihm gefundene Regel, das Pauli-Prinzip, besagt, dass gleiche Teilchen mit Spin ½ h – und dazu zählen die Quarks – nie den gleichen Quantenzustand einnehmen können: Manche Teilchen, die man aus identischen Quarks gebastelt hatte, widersprachen leider diesem Prinzip.
Wie lösen Theoretiker so ein Problem? Nun, man stellt sich vor, alle Quarks kämen in drei ‚Farben‘ Rot-Grün-Blau vor, die man natürlich nicht direkt beobachten kann. Zwar hat man die Zahl der Quarks damit eben mal verdreifacht, aber solche Bedenken tragen die Physiker schon länger nicht mehr. Die Leimteilchen, die Gluonen, muss man sich infolgedessen in Farben wie Rot-Antiblau vorstellen, und das Ganze wird noch verziert mit ein paar Ad-hoc-Regeln wie dem Verbot von Gluonen gleicher Farbe und dem Gebot, alle drei Farben müssten zum Beispiel in einem Neutron oder Proton enthalten sein. Man führt eine willkürliche Regel ein, um sie im nächsten Moment mit einer noch willkürlicheren Einschränkung zu versehen. Die theoretische Teilchenphysik ist voll von solchen Sondergesetzen mit Ausnahmen, nicht-mehr-symmetrischen-weil-gebrochenen Symmetrien, be-eigenschafteten Nicht-Eigenschaften, trockenem Wasser und schwangeren Jungfrauen – ein logisch-semantischer Urwald, den die Akteure vor lauter Teilchen nicht mehr sehen.
Einen bizarren Aspekt des Quark-Modells habe ich noch gar nicht erwähnt: Die Bedeutung des Wortes Teilchen . Quarks sind einzeln nicht beobachtbar und daher eben kein ‚Teil‘ von irgendetwas. Es geht nicht um eine sprachliche Spitzfindigkeit, wohl sollte es aber einen physikalischen Mechanismus geben, der das Auftreten einzelner Quarks verbietet. Dieser besteht allein in dem Appell, dass sie zum Beispiel ein Proton nicht verlassen dürfen, was Confinement getauft wurde, zu Deutsch Eingesperrtsein.
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Du kerkerst den Geist in ein tönend Wort. – Friedrich Schiller
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Mehr kann man dazu nicht erklären, aber dennoch wurde diese Doktrin von den meisten Elementarteilchenphysikern akzeptiert. David Lindley spottet: 182
„Am Ende überlebte das Quark-Modell durch den ironischen Trick, zu beweisen, dass kein Quark jemals direkt von einem Physiker gesehen würde. Das befreite die Physik von der Notwendigkeit, seine Existenz mit der traditionellen Methode zu beweisen!“
Wo liegen hier eigentlich die Grenzen zur Esoterik, die von irgendwelchen Strahlen spricht, deren Wahrnehmung Normalsterblichen versagt bleibt? Im Zusammenhang mit Confinement hört man oft von der Theorie der ‚asymptotischen Freiheit‘, für die Gross, Wilzcek und Politzer 2004 den Nobelpreis erhielten. Quarks spüren demnach bei sehr kleinen Abständen keine Kraft, aber das erklärt natürlich noch lange nicht, warum sie bei größeren Abständen untrennbar sind, auch wenn Gross das in seinen Vorträgen gerne suggeriert. Es ist etwa so, als ob die Höhe des Mount Everest erklärt werden soll, aber stattdessen bewiesen wird, dass sich die Meereshöhe bei null befindet. Die Theoretische
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