Auf dem Jakobsweg
Zeitgefühl und spürte auch Petrus nicht mehr neben mir. Ich blickte dem Hund fest in die Augen. Etwas in mir
- vielleicht die Stimme Astrains oder meines Schutzengels sagte mir, daß er mich angreifen würde, sobald ich den Blick von ihm wandte. So standen wir unendlich lange Minuten da und blickten einander an. Ich fühlte, daß ich, nachdem ich die Größe der alles verschlingenden Liebe erfahren hatte, nun wieder vor den alltäglichen und immerwährenden Bedrohungen des Lebens stand. Ich fragte mich, warum mich das Tier von so weit her verfolgt hatte. Was es überhaupt wollte, denn ich war ein Pilger auf der Suche nach seinem Schwert und hatte weder Lust noch Geduld, mir auf dem Weg Probleme mit Menschen oder Tieren aufzuhalsen. Ich versuchte dies alles mit meinen Blicken zu sagen - mir waren die Mönche in dem Kloster wieder eingefallen, die sich mit Blicken verständigten -, doch der Hund regte sich nicht. Er starrte mich weiter ungerührt an, bereit, mich anzugreifen, wenn ich die Konzentration verlöre oder Angst zeigte.
Angst! Ich stellte fest, daß die Angst verschwunden war. Mir kam die Situation zu albern vor, als daß ich Angst haben mußte. Mein Magen krampfte sich zwar zusammen, und ich mußte mich vor lauter Anspannung fast übergeben, doch Angst hatte ich nicht. Hätte ich sie, dann würden es meine Augen verraten und das Tier mich wie schon einmal umwerfen. Ich durfte den Blick nicht abwenden, auch dann nicht, als ich spürte, daß sich auf einem Pfad rechts von mir eine Gestalt näherte.
Die Gestalt hielt einen Augenblick lang inne und kam dann direkt auf uns zu. Sie kreuzte die imaginäre Linie, die die Augen des Tieres mit meinen verband, und sagte etwas, das ich nicht verstehen konnte. Es war eine Frauenstimme, und ihre Gegenwart war gut, freundlich und positiv.
Im Bruchteil der Sekunde, in dem sich die Gestalt zwischen meine und die Augen des Hundes schob, entspannte sich mein Magen. Ich hatte einen mächtigen Freund, der dort war und mir in diesem absurden, unnötigen Kampf zu Hilfe kam. Als die Gestalt ganz vorbeigegangen war, senkte der Hund den Blick, machte einen Satz, lief hinter das verlassene Haus, und ich verlor ihn aus den Augen.
Erst in diesem Moment begann mein Herz vor Angst so heftig zu klopfen, daß mir schwindlig wurde und ich glaubte, gleich ohnmächtig zu werden. Alles um mich herum drehte sich. Ich sah auf die Straße, die Petrus und ich wenige Minuten zuvor entlanggekommen waren, und suchte die Gestalt, die mir die Kraft gegeben hatte, den Hund zu besiegen.
Es war eine Nonne. Sie ging von uns weg nach Azofra, und ich konnte ihr Gesicht nicht sehen, doch ich erinnerte mich an ihre Stimme - die Stimme einer höchstens Zwanzigjährigen. Ich schaute auf den Weg, auf dem sie gekommen war: Es war ein schmaler Pfad, der nirgendwohin führte.
»Sie war es... sie hat mir geholfen«, murmelte ich, während sich das Schwindelgefühl weiter verstärkte.
»Nun füge einer ohnehin schon außergewöhnlichen Welt nicht noch deine Phantastereien hinzu«, sagte Petrus, trat neben mich und faßte mich unter. »Sie kam vom Kloster von Canas, das etwa fünf Kilometer von hier entfernt liegt. Deshalb kannst du es auch nicht sehen.«
Mein Herz schlug noch immer heftig, und ich spürte, daß mir gleich übel werden würde. Ich konnte nichts sagen, geschweige denn um eine Erklärung bitten. Ich setzte mich auf den Boden, und Petrus erfrischte mich mit Wasser auf Stirn und Nacken. Ich erinnerte mich daran, daß er das auch getan hatte, nachdem wir aus dem Haus der Frau gekommen waren. Doch damals hatte ich geweint und mich gut gefühlt. Jetzt war es genau umgekehrt.
Petrus ließ mich so lange ausruhen, wie ich es brauchte. Das Wasser belebte mich etwas, und die Übelkeit ließ allmählich nach. Als ich mich wieder gestärkt fühlte, forderte mich Petrus auf, ein wenig zu gehen, und ich gehorchte ihm. Wir gingen etwa eine Viertelstunde, dann mußte ich wieder rasten. Wir setzten uns an den Fuß eines rollo, einer der vielen mittelalterlichen Säulen mit einem Kreuz darauf, die die Rota Jacobea säumen.
»Die Angst hat dir mehr zugesetzt als der Hund«, bemerkte Petrus.
Ich wollte wissen, was es mit dieser absurden Begegnung auf sich hatte.
»Im Leben wie auch auf dem Jakobsweg gibt es bestimmte Dinge, die unabhängig von unserem Willen geschehen. Bei unserer ersten Begegnung sagte ich dir, daß ich im Blick des Zigeuners den Namen des Dämons gelesen habe, dem du dich würdest stellen müssen. Ich
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