Auf dem langen Heimweg: Roman (German Edition)
unter der Bettdecke rührte.
»Nein, ich bin noch wach.«
»Darf ich dich etwas fragen? Etwas, das damit zu tun hat, dass du ein Medium bist, meine ich?«
»Sicher.«
»Wenn du von Brian hören würdest, würdest du es mir doch sagen? Oder? Du würdest ihn erkennen, wenn er zu dir durchkommen würde. Er ist so ein stämmiger Kerl, draufgängerisch, selbstbewusst.« Marnie war sich sicher, dass Brians wahre Persönlichkeit selbst nach dem Tod noch erkennbar wäre. Als er noch lebte, hatte sie seine Energie manchmal aus dem Nachbarzimmer spüren können, selbst wenn er ganz still war.
»Ja, ich würde es dir sagen. Aber rechne bitte nicht damit. Ich möchte nicht, dass du enttäuscht bist.«
»Nein, ich weiß. Ich rechne mit gar nichts.«
Jazzy räusperte sich. »Was hoffst du denn herauszufinden? Ist zwischen euch beiden etwas ungesagt geblieben?«
Marnie musste darüber nachdenken. Eigentlich war da nichts Ungesagtes. Zuerst hatte er sie geliebt (oder es hatte zumindest den Anschein gehabt), danach war er oft geistesabwesend gewesen und schließlich nur noch ab und an liebevoll. Die letzten Jahre schien er ihre Existenz kaum mehr wahrgenommen zu haben. Dass er sie nicht beachtete, war das Schlimmste von allem. Wenn sie seine Unaufmerksamkeit zur Sprache gebracht hatte, hatte er versprochen, sich zu bessern. Eine Zeitlangwar er ihr dann auf halbem Wege entgegengekommen, aber schließlich war er wieder in den alten Trott zurückgefallen. Nach einer Weile hatte sie es satt gehabt, sich ständig zu fragen, warum sie nicht gut genug war. All ihr Zorn und die Tränen bewirkten nie etwas. Er würde sich niemals ändern. Sie machte alle Stadien der Trauer durch und als sie es nach ein paar Beziehungsjahren schließlich akzeptieren konnte, war es eine Erleichterung. Sie kamen zu einer Art unausgesprochener Übereinkunft und jeder von ihnen hielt seinen Teil der Abmachung ein.
Wenigstens war er da. Wenn sie unsicher war, wie sie eine Situation bei der Arbeit bewältigen sollte, oder wenn sie mit jemandem darüber reden musste, wie sie damit umgehen sollte, dass die Gartenbaufirma Mist gebaut hatte, konnte sie ihn jederzeit fragen. Eine Meinung hatte Brian immer. Und intelligent war er noch dazu. Das war es, was sie anfänglich an ihm bewundert hatte. Aber sie vermisste eigentlich nicht ihn, sie vermisste einfach nur, wie ihr Leben früher gewesen war. Was erhoffte sie sich also von Brian? Sie grübelte noch ein paar Sekunden darüber nach und schließlich hatte sie eine Antwort für Jazzy. »Eigentlich ist nichts zwischen uns ungesagt geblieben. Ich wüsste einfach nur gerne, ob es richtig ist, zu Troy zu fahren. Ich brauche Brians Rat.«
»Ach Marnie, du brauchst seinen Rat nicht«, entgegnete Jazzy. »Dein Herz hat dir diese Entscheidung eingegeben; das sollte dir sagen, dass du das Richtige tust.«
Ihre Worte hatten eine beruhigende Wirkung auf Marnie – sie waren wie eine Umarmung. Sie stieß einen erleichterten Seufzer aus. Gerade eben war sie noch zu aufgeregt gewesen, um zu schlafen, aber jetzt wurden ihr die Augen schwerund sie spürte, wie sie in die Matratze einsank. »Danke, Jazzy. Das musste ich hören.«
»Gute Nacht, Marnie.«
»Gute Nacht.«
Als Laverne eingeschlafen war und so laut schnarchte wie ein Dreizentnermann, stieg Rita aus dem Bett und tastete sich durchs Dunkel, bis sie neben dem Koffer ihre Handtasche fand. Im Bad schaltete sie das Licht ein und kramte ihr Handy heraus, um Glenn anzurufen. Er nahm nach dem ersten Läuten ab, worüber sie lächeln musste. Er war aufgeblieben, um von ihr zu hören.
»Wie geht’s, Liebling?«, fragte er. »Amüsiert ihr Mädels euch gut?« Sie konnte sich vorstellen, wie er auf dem Sofa saß, die Füße auf den Couchtisch gelegt, die Fernbedienung in Griffweite auf der Armlehne, während die Katze sich neben ihm zusammengerollt hatte.
Amüsiert ihr Mädels euch gut?
Das hatte er immer gefragt, wenn Melinda und sie ihn von ihren Road Trips angerufen hatten. Er hatte es entweder vergessen oder es war ihm nicht bewusst. Noch vor einem Monat hätten diese Worte ihrem Herzen einen Stich versetzt, jetzt aber ließ sie es ihm durchgehen. »Wir amüsieren uns bestens«, antwortete sie, betrachtete ihr Spiegelbild im grellen Badezimmerlicht und bemerkte ihr zerdrücktes Haar und die dunklen Ringe unter den Augen. Sie sah müde aus, aber sie fühlte sich großartig. Die Fahrt mit diesen drei Frauen war unerwartet anregend. »Du wirst nicht glauben, was heute
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