Auf dem langen Heimweg: Roman (German Edition)
befand, die alt genug waren, ihre Tante, Mutter und Großmutter zu sein.
»Nein, es geht mir gut.«
»Was ist denn dann los?« Marnie trat neben sie und legte ihr den Arm um die Schultern. »Erzähl es mir.«
Jazzy hatte nicht vorgehabt, mit der Wahrheit herauszurücken. Sie war darauf vorbereitet, etwas über Magendrücken oder Menstruationsbeschwerden zu fabulieren. Die Worte waren da, lagen schon bereit, aber stattdessen kam etwas anderes heraus. »Ich konnte es nicht ertragen, wie diese drei Leute mich angestarrt haben. Es hat mich fertig gemacht. Ich musste da weg.«
Die Ampel der nächstgelegenen Kreuzung sprang von rot auf grün um und ein schwarzer Mustang fuhr gefolgt von einer Autoschlange mit quietschenden Reifen los. Marnie sagte: »Normalerweise starren die Leute einen an, weil sie eine Ähnlichkeit mit jemandem entdeckt haben, den sie kennen. Aber in deinem Fall schauen sie wohl eher hin, weil du so hübsch bist.«
»Ich bin nicht besonders hübsch«, entgegnete Jazzy. »Ich sehe aus wie andere Leute auch.«
»Die Jugend hat ihre eigene Schönheit«, meinte Marnie in sehnsüchtigem Tonfall. »Du bist absolut perfekt, in jeder Hinsicht. Eines Tages wirst du zurückblicken und das begreifen.«
Jazzy lächelte schwach. »Deine Theorie ist wirklich nett und ich weiß es zu schätzen, dass du mich aufmuntern willst«, sagte sie langsam. »Aber ich glaube, sie haben mich angestarrt, weil sie etwas gespürt haben, was bei mir ungewöhnlich ist.«
»Und was ist das?«
Jazzy seufzte. Es war nun offiziell – sie hatte es satt, sich selbst zu verleugnen. Wenn jemand ihre Merkwürdigkeitennicht akzeptieren konnte, dann zum Teufel mit ihm. Es war besser, gleich von Anfang an zu wissen, was jemand von ihr dachte. Sie wandte sich Marnie zu und begegnete ihrem Blick. »Ich erzähle das normalerweise niemandem, aber Rita habe ich es schon gesagt, und so könnt ihr anderen ebenfalls Bescheid wissen. Vielleicht hältst du mich jetzt für verrückt oder versponnen oder was auch immer. Das kann ich nicht ändern. Aber Tatsache ist, dass ich ein Medium bin.«
Marnie zog überrascht eine Augenbraue hoch. »Siehst du Verstorbene?«
»Etwas in der Art.«
»Wow.«
»Denkst du jetzt anders über mich?«, fragte Jazzy.
Marnie schüttelte den Kopf.
»Wirklich? Du glaubst nicht, dass ich verrückt bin oder lüge?«
»Nein, ich denke nicht, dass du verrückt bist oder lügst. Wenn du selbst überzeugt bist, reicht mir das als Beweis aus«, erwiderte Marnie. »Es muss schön sein, ein besonderes Talent zu besitzen.«
Sie schwiegen beide eine Weile. »Du bist eine wirklich gute Köchin«, sagte Jazzy dann.
»Das kann doch jeder«, erwiderte Marnie niedergeschlagen.
»Ich zum Beispiel nicht. Glaub mir, inzwischen kochen gar nicht mehr viele Leute.«
Sie standen in einträchtigem Schweigen da. Die Tür des Restaurants ging auf und ein Paar mittleren Alters kam lachend heraus. Die Frau meinte: »Hör auf. Ich hab dir doch schon gesagt, dass du recht hast.« Sie schlug ihm spielerisch auf den Arm. »Was willst du denn noch?« Jazzy hätte gerne die Antwort gehört,aber das Paar hatte ihnen jetzt den Rücken zugekehrt und ging zum Auto; seine Antwort war nicht zu verstehen.
»Also«, meinte Marnie langsam. »Wenn ich mit jemandem bestimmten kommunizieren wollte, mit einem Toten meine ich, dann könntest du denjenigen sozusagen herbeirufen?«
Jazzy schüttelte den Kopf. »So funktioniert es nicht. Es ist eher so, dass ich plötzlich eine Botschaft bekomme. Es passiert fast immer, wenn ich nicht damit rechne. Mir kommt ein Gedanke in den Kopf, der nicht von mir selbst stammt, oder ich fange einen Eindruck auf.«
»Kannst du den Verstorbenen dann wirklich sehen oder ist es eher wie ein Hologramm?«
Jazzy seufzte. Wie sollte sie das erklären? »Also, manchmal hält man doch im Supermarkt irgendeine Schachtel in der Hand und liest zum Beispiel die Zutaten oder das Etikett?« Als Marnie nickte, fuhr sie fort: »Und dann siehst du plötzlich aus dem Augenwinkel, wie sich jemand nähert, vielleicht eine Frau, die einen Einkaufswagen schiebt? Vielleicht trittst du sogar zur Seite, um sie vorbeizulassen? Wenn jemand dich später nach dieser Frau fragte, könntest du sie grob beschreiben – weiblich, das ungefähre Alter, vielleicht ihre ungefähre Größe oder ob sie es eilig hatte oder so. Aber du könntest nicht wirklich sagen, wie sie ausgesehen hat. Es ist eher nur ein allgemeiner Eindruck.«
»So ist das also für
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