Auf dem langen Heimweg: Roman (German Edition)
wundervoll.
»Könnt ihr es euch vorstellen?«, fragte Jazzy. Sie führte die Hände wie zwei Ls zusammen und spähte durch die Öffnung.
»Klar, kann ich«, sagte Rita. Laverne nickte.
Jazzy drehte sich wieder nach vorn, trommelte auf dem Armaturenbrett herum und wippte im Takt der Musik mit dem Kopf. Laverne hatte das Bild jetzt vor sich. Sie spielten in einem Filmüber vier Frauen mit, vier Fremde, die auf der Reise von Wisconsin nach Las Vegas Freundschaft schlossen. Noch vor einer Woche hatte ihr Tagesablauf darin bestanden, das Katzenklo sauber zu machen und die Post durchzugehen. Diese Wendung der Ereignisse hätte sie sich niemals vorstellen können.
Laverne dachte daran, wie ihr Sohn reagiert hatte, als sie ihn anrief, um ihm zu sagen, dass sie diese Reise unternehmen würde. Das Wort ›verblüfft‹ war viel zu schwach. »Willst du mich auf den Arm nehmen? Letzte Woche wolltest du nicht mit mir zum Essen ausgehen, weil dir das zu anstrengend war, und jetzt unternimmst du eine lange Autoreise mit Leuten, die ich nicht einmal kenne?« Es war diese Formulierung, die sie zum Lachen brachte – dass sie eine Autoreise mit Leuten unternahm, die
er
nicht einmal kannte. Als ob sie seine Zustimmung bräuchte. »Ich halte das für keine besonders gute Idee«, war er fortgefahren. Falls sie noch im Geringsten geschwankt hätte, ob sie mitfahren sollte, hätte diese Bemerkung den Ausschlag gegeben. Sie bat ihn nicht um Erlaubnis; sie war eine Erwachsene. Mehr als erwachsen, überlegte Laverne. Sie war dem Ende ihres Lebens näher als je zuvor und wenn sie jetzt nicht mal etwas riskieren würde, würde sie es nie mehr tun.
Unerklärlich blieb ihr allerdings, wie alles sich von einem Moment auf den anderen perfekt ergeben hatte: Gerade an dem Tag, an dem sie beschlossen hatte, ihre Einsamkeit aufzugeben, war Jazzy vor ihrer Tür erschienen und hatte sie zu einer Fahrt zu genau dem Ort eingeladen, den sie schon immer hatte besuchen wollen – Las Vegas! Wie groß war die Wahrscheinlichkeit, dass so etwas geschah?
Jazzy hatte zweifellos eine überzeugende Art. Sie hatte sich gegen den Türrahmen gelehnt, eine Handtasche über derSchulter und ein breites Lächeln im Gesicht. Begeistert erzählte sie Laverne von der Reise und wie sie sich zusammengefunden hatten, um Marnie beizustehen. »Diese Fahrt wird unser aller Leben verändern«, sagte sie mit leuchtenden Augen. Außerdem hatte Jazzy erklärt, jede Frau solle mindestens einmal im Leben einen Road Trip mit Freundinnen unternehmen. Im selben Moment überkam Laverne eine Woge der Freude. Von einer Sekunde auf die andere traf sie die Entscheidung, die Fahrt mitzumachen; sie ging packen, bevor sie ihre Meinung noch einmal ändern konnte. Später wurde ihr bewusst, dass der Ausdruck ›mit Freundinnen‹ überhaupt nicht auf die Gruppe zutraf. Aber da war es schon zu spät. Sie waren schon unterwegs und fuhren gen Westen.
Und jetzt spielte sie in Jazzys imaginärem Film über vier Freundinnen auf einem Road Trip mit, mit Soundtrack und allem Drum und Dran. Es war richtig gewesen, auf diese Fahrt mitzukommen.
»Jetzt kommt das Beste«, sagte Jazzy, drehte die Lautstärke hoch und sang die Zeile mit, dass sie alle Champions seien. Sie hob die Hände wie eine Dirigentin. »Achtung, allerseits. Ihr müsst alle mitsingen. Bis der Wagen wackelt.«
Rita lachte und fiel ein. Sie hatte eine gute Stimme. Laverne kannte zwar den Text nicht, aber Jazzy forderte sie wild gestikulierend zum Mitmachen auf, und so tat sie so als ob. Zum Glück sang Jazzy so laut und falsch, dass keiner Lavernes Fehler bemerkte.
Schließlich konnte Marnie die drei nicht länger ignorieren. Sie legte die Zeitschrift weg und blickte missbilligend auf den Klamauk.
»Nicht kneifen, Marnie«, rief Jazzy. »Mach doch mit. Komm rüber auf die dunkle Seite.«
Marnie schüttelte den Kopf und einen Moment lang glaubte Laverne, sie werde nicht nachgeben, aber wie sich herausstellte, war der Sog des Songs einfach zu stark. Ganz am Ende machte sie den Mund auf und brüllte die letzte Zeile mit allen zusammen heraus.
Sie waren die
Champions of the World
.
Iowa hatte endlos gewirkt, Maisfelder so weit das Auge reichte. Es schien ewig so weitergehen zu wollen und so waren sie überrascht, als Rita ankündigte, sie würden bald in einen neuen Bundesstaat einfahren. »Hinter Council Bluffs kommen wir nach Nebraska.«
Laverne setzte sich auf, damit ihr nichts entging. Ihr fiel auf, dass häufig Flüsse
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