Auf dem langen Heimweg: Roman (German Edition)
mir gefällt der Gedanke, in der Nähe von New York City zu wohnen. Ich finde es großartig dort. Die Energie, die Vielfalt, die Menschen. Das ist umwerfend.«
»Ich habe tatsächlich gerade ein Jobangebot in New York bekommen«, berichtete Jazzy, die sich an ihre Begegnung mit Scarlett Turner und die Visitenkarte erinnerte, die noch in ihrer Brieftasche steckte. »Wenn ich die Stelle will, werde ich die Assistentin einer Autorin, die auf der Bestsellerliste der
New York Times
steht.«
»Nimmst du das Angebot an?«
»Ich glaube schon, ja«, antwortete Jazzy. Auf der anderen Seite des Raums, unmittelbar hinter Carson, spürte sie die Anwesenheit ihrer Großmutter und gleichzeitig kam ihr das Bild eines hochgereckten Daumens in den Sinn – Grandmas Art, ihr Einverständnis für Carson auszudrücken. Jazzy hätte beinahe laut herausgelacht.
Carson legte den Kopf schief. »Wenn du in New York wohnst und ich in der Nähe, dann können wir uns ja vielleicht mal sehen?«
»Das ist ganz entschieden eine Möglichkeit.«
Beide schwiegen eine Weile, in die Stille eingesponnen wie in einen Kokon aus Vertrautheit. Schließlich sagte Carson: »Ihr fahrt also morgen los, wenn der Wagen fertig ist. Trefft ihr euch mit den anderen in Las Vegas?«
Jazzy zögerte. Rita und sie hatten ausführlich über die Frage gesprochen, waren sich aber immer noch nicht ganz schlüssig, was sie tun würden. »Ich weiß es nicht. Rita möchte eigentlich heimfahren. Ihr Mann fehlt ihr schrecklich. Aber sie möchte auch Laverne und Marnie nicht im Stich lassen. Es ist eine schwierige Situation für sie.« Sie streckte die Beine auf der Couch aus, bis sie Carson fast berührte, verharrte aber kurz vorher. »Sie weiß nicht recht, was sie tun soll.«
»Und was ist mit dir?« Er beugte sich vor und fuhr mit der Fingerspitze über ihren Fußrücken. »Was möchtest du tun?«
»Ich habe es nicht eilig, von hier aufzubrechen«, antwortete sie, einen Schauder von Wohlgefühl unterdrückend. Die reinste Wonne.
»Du hast es nicht eilig aufzubrechen.« Er lächelte leicht. »Heißt das das Gleiche, wie dass du gerne bleiben würdest?«
»Ja, genau das heißt es.«
42
Wie versprochen fuhr George sie direkt zur Raststätte und blieb dann noch so lange, bis klar war, dass der Wagen auch ansprang. Laverne versuchte, ihm einen Fünfdollarschein für seine Zeit und Mühe zu geben, aber er lehnte ab. »Kein Geld«, sagte er eindeutig gekränkt. »Ich helfe gerne.« Laverne gefiel die Bestimmtheit des jungen Manns. Diese Haltung ließ einen wieder an das Gute im Menschen glauben.
Nachdem er weggefahren war, forderte Laverne Marnie auf, hinten einzusteigen. »Du bist vollgepumpt mit Medikamenten. Da kannst du genauso gut schlafen«, sagte sie. »Ich übernehme das Steuer.«
»Aber ich dachte, du hast keinen Führerschein?«, wandte Marnie ein.
»Ach was«, erklärte Laverne verächtlich abwinkend. »Na gut, er ist abgelaufen, aber deswegen kann ich doch trotzdem noch fahren. Es ist wie mit dem Radfahren. Das verlernt man auch nicht.«
Marnie, die kaum die Augen offen halten konnte, erhob keine Einwände. Sie wechselten die Plätze. Laverne ging um den Wagen herum zur Fahrerseite, Marnie stieg aus und schlüpfte auf den Rücksitz. Sie schlug die Tür zu und sagte: »Danke, Laverne. Du bist meine Lebensretterin.«
»Ach was, das ist doch nichts.«
»Weck mich in einer Stunde oder so«, murmelte Marnie, schloss den Sicherheitsgurt lose und legte sich auf die unverletzte Seite. »Ich brauche nur ein kleines Nickerchen.«
»Sicher.« Laverne ließ sich Zeit mit dem Einstellen des Sitzes und der Spiegel und überprüfte dann ein weiteres Mal, ob im Navi auch wirklich noch Kimberlys Adresse eingegeben war. Im Fußraum der Beifahrerseite fand sie eine ungeöffnete Flasche Mountain Dew, die hob sie auf und stellte sie neben sich in den Flaschenhalter. Das Koffein würde sich als nützlich erweisen, wenn die Fahrt zu monoton wurde.
Sie war schon Jahre nicht mehr gefahren, doch es war erstaunlich, wie schnell ihr alles wieder einfiel. Sie hatte ganz vergessen, welches Machtgefühl sie hinter dem Steuer hatte. Zuhause war sie zur Einsiedlerin geworden, aber das hatte sich in den letzten Tagen gründlich geändert. Auf diese Reise war sie ursprünglich nur aus Mitleid mitgenommen worden (das vermutete sie zumindest), aber jetzt hing alles von ihr ab. Sie hatte gemerkt, dass Marnie sie zu Beginn der Reise nicht gemocht hatte, doch inzwischen musste sie ihre
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