Auf dem langen Heimweg: Roman (German Edition)
ist
verschrieben
worden.«
Marnie konnte gegen diese Logik nichts einwenden. Vor gar nicht so langer Zeit hätte der Gedanke, die Medikamente eines anderen einzunehmen, sie entsetzt, ob sie nun verschrieben waren oder nicht. Aber irgendwie war sie mit den zurückgelegten Meilen weniger vorsichtig und offener geworden, selbst für Dinge, die potenziell gefährlich waren. Ihr früheres Ich hätte das nicht gebilligt, aber das war ihr egal. Die alte Marnie war eine ziemliche Langweilerin gewesen. Und auch nicht besonders glücklich, um die Wahrheit zu sagen.
Sie zog einen Kamm und einen Taschenspiegel aus ihrer Handtasche und versuchte, ihr Haar und ihr Gesicht herzurichten,aber wie sehr sie sich auch bemühte, sie sah einfach aus wie eine Frau, die gerade im Wagen geschlafen hat. Die dunklen Ringe unter den Augen machten sie zehn Jahre älter. Ihr Haar lag verfilzt am Kopf an wie eine Badekappe. Um alles noch schlimmer zu machen, war ihr graues T-Shirt, das sie noch am Abend zuvor so dankbar entgegengenommen hatte, jetzt zerknittert und formlos. Provinztrulla aus dem mittleren Westen, das war der Ausdruck, der einem in den Sinn kam. Sie blickte auf und sah, dass Laverne sie betrachtete. »Ich weiß«, sagte Marnie und fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. »Es ist hoffnungslos.«
»Ich habe gerade gedacht, dass du prima aussiehst«, erwiderte Laverne achselzuckend. »Troy ist das sowieso egal. Er wird froh sein, dich zu sehen, wie auch immer.«
Lavernes Worte rückten die Dinge wieder in die richtige Perspektive. Marnies Aussehen spielte keine Rolle. Sie bewarb sich schließlich nicht um eine Stelle und was Kimberly von ihr dachte, war ihr (zumindest theoretisch) gleichgültig. Sie war ja wegen Troy hier.
Als der Rasenpflegedienst in einem weißen Pickup mit Anhänger eintraf, beschlossen Laverne und Marnie, dass es nun spät genug war, an die Tür zu klopfen. Marnie spürte eine Woge der Nervosität, als sie auf der Türmatte vor dem Eingang wartete. »Vielleicht hätten wir sie aus dem Auto anrufen sollen«, meinte sie zu Laverne. »Sie vorwarnen.«
»Das soll wohl ein Scherz sein«, gab Laverne zurück und klopfte erneut, diesmal lauter. Die Leute vom Rasenpflegedienst waren inzwischen voll im Einsatz, luden Geräte vom Anhänger und warfen den beiden Frauen fragende Blicke zu. Laverne schaute zurück und rief: »Wir dürfen hier sein. Wirwerden
erwartet
.« Die Männer, alle unter dreißig, in weißen T-Shirts und hellen Shorts, hatten den Anstand, den Blick abzuwenden und sich wieder an die Arbeit zu machen. Einer von ihnen winkte ihnen zu, bevor er sich wegdrehte. »Ja, so ist es recht. Zurück an die Arbeit«, sagte Laverne, aber diesmal war ihre Stimme leiser, und nur Marnie konnte sie hören.
»Gott weiß, wie wir in ihren Augen aussehen. Wahrscheinlich glauben sie, wir wollen etwas verkaufen«, murmelte Marnie und strich sich das Haar hinter die Ohren. Jetzt, im hellen Tageslicht, fiel ihr auf, dass Carsons am Straßenrand parkender Corolla nicht gerade neu aussah. Im Gegenteil, er hatte eine ziemlich große Delle am hinteren Stoßdämpfer und Schlammspritzer auf den Radkästen. Das verbesserte ihr Image gewiss nicht.
»Die sollen sich um ihren eigenen Kram kümmern.« Laverne klopfte erneut, diesmal wie ein Mädchen in einem Horrorfilm, das vor einem Kerl mit Maske flüchtet. »Das ist ja unglaublich«, sagte sie innehaltend. »Ich bin bestimmt nicht die ganze Nacht durchgefahren, um jetzt vor verschlossenen Türen zu stehen.« Sie drückte den Türgriff herunter und die Tür ging auf. »Hoho«, gluckste sie und zog die Augenbrauen hoch. »Los geht’s.«
»Ich glaube, das ist keine gute ...«, sagte Marnie, aber Laverne war schon im Haus. Marnie seufzte. »... Idee.« Sie trat verunsichert hinter Laverne ein, aber sie wollte auch nicht allein zurückbleiben. Einmal drinnen, bekam sie eine Vorstellung von der Größe des Hauses. Keiner schien daheim zu sein.
»Oho«, sagte Laverne, die in der zweigeschossigen Eingangshalle stand und zu einem Kristalllüster von der Größe eines Mini Coopers aufblickte. »Schau dir das mal an.«
»Der Haupteingang ist dramatisch und einladend«, zitierte Marnie aus der Online-Beschreibung des Immobilienmaklers. »Der Marmorboden wurde aus Italien importiert.«
»Sehr schön«, gab Laverne zurück und strich mit der Fußspitze über das Muster. »Gar nicht schlecht.« Sie schlenderte in das Haus hinein, als wäre es ein öffentliches Gebäude, ein Museum oder
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