Auf dem langen Heimweg: Roman (German Edition)
verhören. Man werde das Thema in freundlichem Plauderton anschneiden und ein paar klärende Fragen stellen.
Außerdem hatte Judy gesagt, sie werde versuchen, Sophie zur Vernunft zu bringen. »Sie ist verrückt nach Davis«, hatte sie erzählt. »Es wird nicht leicht sein, sie zu überzeugen, dass er fähig ist, zu morden. Ich muss mir gut überlegen, wie ich am besten damit umgehe.« Sie hatte nachdenklich die Stirn gerunzelt. Was für eine schwierige Situation.
An diesem Punkt der Geschichte hielt Jazzy inne und Carson sagte: »Und da habt ihr die Plakate gemacht.« Es war eine Feststellung, keine Frage.
Jazzy zog die Beine an und legte das Kinn auf die Knie, ohne Carsons Gesicht aus den Augen zu lassen. Verblüffend, wie er ihr seine ganze Aufmerksamkeit schenkte. Er war jemand, der wirklich zuhörte. Sie erzählte: »Rita hatte das Foto in ihrer Brieftasche und wir haben die Plakate in der Polizeiwache drucken lassen. Natürlich nicht offiziell. Judy sagte, falls jemand danach fragen würde, hätte sie nichts damit zu tun.« Das Plakat hatte das Format eines Blatts Druckerpapier und zeigte das vergrößerte Foto von Melinda und Davis in ihrer glücklichsten Zeit. Er hatte sich kaum verändert, wenn man bedachte, dass seit damals zehn Jahre vergangen waren. Unter dem Foto stand: »Bitte helfen Sie, den Mord an Melinda Larson aufzuklären. Jede Information ist willkommen.« Darunter standen Datum und Tatort und die Kontaktdatendes Kriminalbeamten, der in Wisconsin für den Fall verantwortlich war.
Sie druckten hundert Stück und verbrachten die nächsten zwei Stunden damit, sie überall aufzuhängen, wo es in Frage kam: Schaufenster, Schwarze Bretter in den Geschäften und Strommasten oder sie steckten sie unter die Scheibenwischer von Autos. Die Ladenbesitzer, die sie ansprachen, waren unglaublich nett. Keiner brachte es fertig, eine Frau abzuwimmeln, die das Gespräch mit den Worten begann: »Ich hoffe, Sie können mir helfen, den Mord an meiner wunderschönen Tochter Melinda aufzuklären.« Einige Leute, die sie ansprachen, erkannten Davis auf dem Foto, das spürte Jazzy. Sie sagten es nicht, aber sie konnte es an ihrem Gesichtsausdruck ablesen.
Als sie das letzte Plakat aufgehängt hatten, waren Jazzy und Rita verschwitzt und müde, aber sie hatten das gute Gefühl, etwas Wichtiges erledigt zu haben.
»Als wir fertig waren, hat Rita gesagt: ›Vielleicht kommt nichts dabei heraus, aber wenigstens weiß er jetzt, dass es nicht vorbei ist‹«, erzählte Jazzy.
»Wow«, machte Carson und wiederholte: »›Wenigstens weiß er jetzt, dass es nicht vorbei ist.‹«
Beide schwiegen eine Weile und dann meinte Jazzy: »Ich habe ihr gesagt, dass ganz bestimmt etwas dabei herauskommt.«
»Und das weißt du, weil du ein Medium bist?« In seinem Blick lag Neugier.
»Nein«, räumte Jazzy ein. »Ich kann die Zukunft nicht wirklich voraussehen. Ich möchte einfach nur glauben, dass Rita nach all dieser Zeit irgendeine Genugtuung widerfährt. Sie und ihr Mann haben schrecklich viel durchgemacht.«
»Du bist wirklich eine gute Freundin«, meinte er und blickte sie anerkennend an.
»Ich versuche es.«
»Mehr als das. Du legst dich wirklich für andere Menschen ins Zeug. So etwas gibt es nur selten.«
Sie schwieg. Komplimente machten sie aus irgendeinem Grund verlegen. Und dieser Kerl überschüttete sie damit. »Danke«, meinte sie und blickte auf ihre nackten Füße hinunter. »Aber was ist mit dir? Im Restaurant deiner Eltern einzuspringen, das ist wirklich supernett von dir.«
Er lachte. »So furchtbar nett bin ich gar nicht. Ich musste irgendwo unterkommen, bis ich umziehe und Ende des Sommers meine neue Stelle antrete. Ich konnte schlecht hier wohnen und einfach die Füße hochlegen. Außerdem stört es mich nicht. Es gibt schlimmere Arbeiten.«
»Und was ist das für eine neue Stelle?«
»Ich habe einen Abschluss als Umweltingenieur. Ein Unternehmen auf Long Island hat mich eingestellt. Es ist nicht gerade mein Traumjob, aber er ist gut bezahlt, und ich habe damit einen Fuß in der Tür, ich komme ja gerade erst frisch vom College.«
»Umweltingenieur? Und da konntest du nichts finden, was näher bei dir Zuhause liegt?« Jazzy kam es so vor, als müsse es in Colorado solche Jobs geben. Colorado war doch voller Umwelt – Wasser, Berge und saubere, frische Luft.
»Du bist nicht die erste, die mir das sagt«, gab er zurück. »Aber ich wollte das Abenteuer, auch mal an einem anderen Ort zu leben. Und
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