Auf dem Maniototo - Roman

Titel: Auf dem Maniototo - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck

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fanden.
    Bis Lonnie, immer noch feucht und schniefend, vor seiner Rückkehr nach Neuseeland zu seiner Tante nach San Diego flog, verbrachten Brian, Lonnie und ich freudlose Tage. Die Veränderung in Brian ängstigte mich so sehr, dass ich fast davon überzeugt war, wieder ein Kind zu sein, das Missetaten begangen hatte, die eine Strafe verdienten, und Lonnie und ich wurden zu Verschwörern, die einander heimlich Speisen und Getränke zusteckten wie zwei Kinder im Gefängnis. Er erzählte mir von zu Hause und von der Schule und was er einmal werden wollte, und ein paar Tage vor seinem Abflug begann er von Amerika zu reden, als wäre es seine Heimat – genau die richtige Gemütsverfassung für eine triumphale Rückkehr nach Neuseeland, wo er dann verkünden konnte, was für wunderbare Ferien er verbracht hatte.
    Lonnie flog nach Hause. Brian wurde wieder der «alte» Brian oder der «sichtbare» Brian, dessen Kindheit, fest in ihm verankert, ihm «entwischt» war, sich eine Zeit lang aus ihrer Vertäuung gelöst hatte. Jetzt lag sie wieder im sicheren Hafen, ebenso sicher, wie Lonnie mit seinem neuen Walkie-Talkie, dem Fotoapparat und dem University-of-Texas-T-Shirt, die Brian ihm als der fürsorgliche, gutmütige Vater auf dem Flughafen gekauft hatte, nun wieder im Schoß seiner Familie in Palmerston North war.
    Die Woche der Silberdollars bleibt trotzdem eine traurige Erinnerung, ein flüchtiger Einblick in menschliche Schwächen und in die Tyrannei vergangener Erfahrung. Ich habemich oft gefragt, wie Menschen ihre Kindheit überleben: Jetzt weiß ich, dass nur wenige sie überleben.

17
    Es war Frühsommer im Süden. Das Haus in Berkeley stand bereit, die Garretts waren in Italien angekommen, die Superküchenschaben lachten über das neueste Insektenvertilgungsmittel, das Brian, nicht ich, in der Küche und in die Mauerritzen im Keller gesprüht hatte. Und wo war mein Roman? Ich war kurz in Menton gewesen, wo Margaret Rose Hurndell eine Zeit lang gelebt hatte, und mich interessierten die «Experten», die sie, ihre Arbeit und die Erinnerung an sie umgaben. Ich habe mich seit jeher für «Experten» interessiert, schon von früher Kindheit an, als ich bemerkte, dass ich, anders als viele Kinder, die ich kannte, von meinem Naturell her zum «Sammeln» unfähig war und deshalb auch kein Experte werden konnte, ganz gleich, ob es sich um eine Sammlung von Informationen, Briefmarken, Fotos, Zündholzschachteln, berühmten Schlachten, Rugbyergebnissen, Puppen oder Salz- und Pfefferstreuern handelte. Erst als ich zu schreiben begann, wurde mir bewusst, was meine Sammlung war – das Reservoir der Vielfalt und alles, was es enthält. Von Zeit zu Zeit tauchen Figuren auf, die sich um eine Idee oder ein Gefühl oder einen Traum scharen, so wie kleine Lebewesen sich an eine wachsende Weinrebe klammern oder Parasiten von ihrem Wirt leben. Die Familie Brunnenkresse, bekannte Experten auf dem Gebiet Margaret Rose Hurndell, verlangte lautstark nach meiner Aufmerksamkeit, die ich ihnen durch das Schreiben meines Romans auch zollte. Ich freute mich auf meine Klausur in Berkeley, und ich verbrachte die letzte Woche in Baltimore mit dem Versuch, mein Augenmerk von denEreignissen meines Aufenthalts abzuwenden, denn eigentlich «sammelt» man nicht Stoff im Reservoir der Vielfalt; es ist das Reservoir, das aufnimmt, ohne auszuwählen.
    Mir ist nur sehr wenig aus dieser letzten Woche in Erinnerung. Brian stand kurz vor einer Flugreise rund um die Welt zu einer seiner Tagungen, und am Dienstag nahm ich (erfreut darüber, früher anzukommen und gewissermaßen ein paar Stunden zu «gewinnen») den Mittagsflug nach San Francisco, wo mich Grace Loudermilk (die ebenfalls den Sommer über wegfliegen wollte) mit dem Schlüssel zum Haus der Garretts abholte.
    Alles, was ich erlebt hatte, all die Geschichten, die ich gelesen oder geträumt hatte, traten in dem Augenblick in mein Bewusstsein, als ich, eine Fremde, den Schlüssel im Schloss des mir unbekannten Hauses umdrehte. Ich, Alice Thumb, Toms Schwester, Mavis Postle, Mavis Barwell, Mavis Halleton, Violet Pansy Proudlock, Lorna Greenbanks etc. etc.
    Das mexikanische Medaillon am Schlüsselanhänger funkelte, nicht im Sonnenlicht, denn an diesem Tag schien keine Sonne, sondern ganz von selbst, als ich die schwere Redwood-Tür des Hauses in der Grizzly Peak Road in Berkeley öffnete.

Teil drei
    Vertiefung und Vermeidung
auf dem Maniototo

18
    Mein erster Impuls war, die Bücher auf den Regalen