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Auf dem Maniototo - Roman

Auf dem Maniototo - Roman

Titel: Auf dem Maniototo - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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ja», sagte ich wenig überzeugend, «draußen ist die Straße, eine Straße in Amerika!»
    «Aber es gibt kein echtes
Draußen.
So wie zu Hause, mit dem Rasen und allem. Und es gibt auch kein Drinnen; alles istdunkel. Und man sollte das Draußen von drinnen sehen können und nicht dauernd auf- und zusperren müssen. Wahrscheinlich ist es wegen der Gangster?»
    «Na ja», sagte ich, «man muss vorsichtig sein.»
    Ich musste zugeben, es war mühsam, ständig auf- und zuzusperren. Sogar wenn man in den kleinen Hinterhof gelangen wollte, musste man auf- und zusperren und die schwere Eisenstange zurückschieben.
    «Das ist die Stadt», sagte ich. «Es ist nicht wie zu Hause.»
    «Aber warum ist es so dunkel in Onkel Brians Haus?»
    Als Erklärung gab ich zur Antwort, schließlich sei es Amerika.
    Als Brian später mit Mose und James kam, saß Lonnie immer noch im Wohnzimmer vor dem Fernsehschirm.
    «Ich habe Mose und James mitgebracht, damit sie dich kennenlernen», sagte Brian und schaltete den Apparat aus.
    «He, ich wollte mir das ansehen!»
    «Hallo», sagte James.
    «Hallo», sagte Mose.
    Lonnie stand pflichtschuldig auf und blickte verlegen und ein wenig verschreckt.
    «Hallo.»
    «Ich muss wieder zur Arbeit», sagte Brian. «Ihr beide könnt Lonnie mit nach draußen nehmen und ihm das Viertel zeigen.»
    Lonnie wich zurück.
    «Nein, ich gehe morgen», sagte er. «Morgen.»
    «Komm schon», sagte Brian und fasste ihn am Arm. «Hinaus mit dir.» Er zog den widerstrebenden Lonnie zur Tür und schob ihn auf die Straße hinaus, und Mose und James folgten ihm mit aufgesetzt bravem Gesichtsausdruck.
    «Schau dir das Leben in Amerika an», rief Brian ihnen nach, dann bedeutete er mir abzusperren und machte sich auf den Weg zurück in die Klinik.
    Eine Viertelstunde später trommelte jemand an die Eingangstür, und als ich durch die Rattanjalousie lugte, sah ich Lonnie, der hereinwollte.
    Ich ließ ihn ein.
    «Sie werfen bloß Mülltonnen um», sagte er. «Und sie haben einen Sack Scheiße angezündet und zugeschaut, wie Leute darauf herumtrampelten.»
    «Ihr Leben ist eben anders», sagte ich und fügte selbstzufrieden hinzu: «Sie sind arm, weißt du. Und sie sind noch nie an einem Strand gewesen.»
    «Aber der Strand ist doch in der Nähe, oder?»
    «Hier ist es anders», war meine unzulängliche Erklärung.
    «Eines steht fest, es gibt kein Draußen», sagte Lonnie.
    Er schaltete den Fernsehapparat ein, saß den ganzen Nachmittag davor und sah sich alles an, von den Partner- und Ehevermittlungs-Gameshows über die Ärzte- und Vampirserien bis zu den alten Perry Masons im fünften Programm, und als Brian von der Arbeit nach Hause kam, sah Lonnie immer noch fern.
    «Warst du draußen?», fragte Brian. «Hast du dir die Stadt angeschaut? Wie findest du sie? Es wird dir guttun, wenn du in Baltimore auf die Straße kommst.»
    Brian sprach als Vater, ging dabei aber nicht von der Vorstellung eines idealen Vaters aus, wie sie jemand mit seinem Wissen haben könnte, sondern von einem Vaterbild, das von seiner eigenen Kindheitserfahrung geprägt war. Er bediente sich sogar einer Elternsprache, wie sie vor vielen Jahren üblich war.
    «Es wird dir guttun.» Auf demselben Mist gewachsen wie «Mir tut es mehr weh als dir», «Tu, was ich dir sage». Und das Erlernen dieser Rolle war bei ihm umso gründlicher gewesen, als ihm schon als Kind aufgezwungen worden war, Elternteil und Kind zugleich zu sein.
    «Ich bleibe lieber hier und sehe fern», sagte Lonnie mürrisch.
    «Morgen kannst du mit mir in die Klinik kommen und die Leute dort kennenlernen; und meine Sekretärin und ihr Mann haben dich dieses Wochenende zu sich aufs Land eingeladen. Sie haben einen Swimmingpool und Pferde.»
    «Ich kann nicht schwimmen und reiten auch nicht.»
    «Dann ist es Zeit, dass du es lernst.»
    Brian, daran gewöhnt, Studenten und andere in einem Ton der Autorität anzusprechen, veränderte seine Redeweise nicht, wenn sein Arbeitstag vorbei war. Ähnlich wie Lance mit seiner belehrenden und verbessernden Art hatte Brian einen ständig ermahnenden Tonfall, und jetzt, da ein Kind im Haus war, kam dazu noch Anklage, so als setzte sich Lonnie allein durch seine Anwesenheit ins Unrecht. Brian hatte Lonnie zweifellos gern und war beeindruckt von der Ähnlichkeit zwischen ihnen, doch die Ankunft des «jungen» Brian weckte Gefühle im «älteren» Brian, die, so spürte ich, mit Brians eigener Kindheitsangst und seinem ängstlichen Bestreben

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