Auf dem Maniototo - Roman
Stürme voll Schnee. Der französische Schirokko beginnt in der Sahara, der Mistral bläst vom Zentralmassiv nach Süden; auf Nordamerika richten sich Wetterpfeile aus Kanada und dem Norden, und in Mexiko oder im Osten des Kontinents zeigen sich die Nachwirkungen aus dem Westen, im Westen die aus dem Osten; alles geschieht anderswo. Die Hitzewelle, die Kalifornien während meines Aufenthalts heimsuchte, entstand dadurch, dass warme Luft aus der Wüste einströmte; so wurde die Wüste auf zweifache Weise zum Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, denn Roger sprach kaum von etwas anderem als von seinem geplanten Ausflug, bei dem er «zwei oder drei Stunden» in seiner «ersten» Wüste verbringen würde. Er verhielt sich wie jemand, dessen Ziel,ein Epos zu schreiben, seinen öffentlich angekündigten Versuch, zunächst einmal einen Zweizeiler zu vollenden, mit ruhmreicher Verheißung verklärt hatte.
Die Erinnerung an diese Zeit («Erinnerungen zu haben genügt nicht. Man muss sie vergessen und unendliche Geduld haben können, bis sie wieder auftauchen») ist von der Art einer Luftspiegelung, die man mitten in einer Hitzewelle sieht, und wenn ich sie betrachte, merke ich, dass im Haus der toten Garretts ein Wettstreit um die vollkommene Lebensweise im Gang ist, in dem die Entscheidung bei den toten Garretts liegt. Die Carltons und die Prestwicks halten sich für ehrlich, intelligent, tolerant und fortschrittlich, wenden diese positiven, modischen Adjektive auf sich an – und doch kann man aufgrund der Häufigkeit, mit der jeder von ihnen Äußerungen von sich gibt wie: «Wir sind sehr glücklich miteinander», «Wir lieben uns sehr» oder «Wir führen eine perfekte Ehe», annehmen, dass alle vier insgeheim bedrückt und unglücklich sind. Es ist leicht, den Proklamationen Theos und Zitas zu glauben, wenn die Kalifornische Beichte alle in einen aufgeregten Austausch von Wissen und Meinungen katapultiert, wenn alle vier auf der Terrasse sitzen, faul vor sich hindösen und sich laben an den von den Garretts hinterlassenen Segnungen, nachdem sich der Morgennebel über der Bucht gelichtet hat, an einem heißen Tag, an dem der Himmel schwindelerregend blau und klar ist und die Blätter der Bäume noch nicht sommerstaubig, sondern biegsam und feucht und neugeboren. Das gelegentliche Auftauchen eines Kolibris, der in luftiger Höhe über den magentaroten Kehlen der Fuchsien schwebt, lässt unangenehme Tatsachen und Gedanken unwirklich erscheinen. Die vier scheinen sich in einer Art von Flitterwochen zu sonnen, glücklich darüber, ihre glücklichenTräume erzählen zu können – Zita den Traum von der Sehnsucht nach einem «stilvollen» Leben, einem echten Zuhause mit einem Esszimmer und einem Tisch mit weißem Tischtuch, Blumen, Tafelsilber, schönem Porzellan und sorgsam reguliertem und abgestuftem Licht.
«Licht ist alles», sagt sie in vager Überspanntheit. (Sie ruht gerade auf einer der lamellierten Holzliegen, die auf der Terrasse im Schatten des Fächerahorns aufgestellt sind.)
Gedrängt, ihren Traum näher zu bestimmen, jedoch unfähig, mit denen zu konkurrieren, die ihren Traum mit solcher Sicherheit greifen, murmelt Doris, dass sie ihn nicht beschreiben kann, und schweigt. Und dann sind da noch Roger und seine Wüste. Jeder erkennt an, dass Roger einen Teil des Traums der Menschheit zu seinem eigenen gemacht hat, und beneidet ihn vielleicht darum. Und wie lobenswert und vornehm ist Zitas anspruchslose Sehnsucht! Und auch die Theos: die Erde vor der Erosion zu retten. Die Tatsache, dass offenbar nur Roger bereit ist, für die Erfüllung seines Traumes den Tod zu riskieren, kann in einer Welt nicht beeindrucken, in der die Technik Handlangerin der Träumer ist, in der Retter im Überfluss vorhanden sind und das einzige reale Problem die Entsorgung der Toten ist. Die Träume erwecken Bewunderung. «Wenn die Garretts doch nur hier wären», sagen sie. «Wenn Irving wüsste … wenn Trinity sehen könnte …» Die Vorstellung, dass die Garretts tot sind, bereitet ihnen Schwierigkeiten. Sie denken an sie eher wie an verschwundene Reisende in einem Stadium vorübergehender Abwesenheit. Durch ihr Ableben fern von zu Hause üben die Garretts sowohl die Macht ihrer Anwesenheit aus, verstärkt und aufgewertet durch den Tod, als auch die Macht ihrer Abwesenheit, die wie ein Körnchen Sprengstoff (dieses Pulver, das allem Anscheinnach auch Zucker sein könnte) die drohende Rückkehr in sich trägt. Ihre Abwesenheit ergibt
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