Auf dem roten Teppich und fest auf der Erde
Haltung bewahren. Das mit der »gnädigen Frau« geschah Jahre später. Der Herr, der mich so ansprach, war Vorsitzender des Elternrats meiner Schule in Hamburg-Othmarschen. Er arbeitete als Protokollchef im Rathaus und begrüßte uns auch immer sehr protokollgerecht: erst die Damen unter den Eltern, dann die Herren, dann die Lehrerin, und dann kam der Lehrer. In dieser Reihenfolge. Als Helmut Senator geworden war, stürzte er sich bei der Sitzung des Elternrats auf mich: »Gnädige Frau«, dann erst kamen die Eltern und dann der Lehrer an die Reihe.
Nachdem Sie nun beide in festen Positionen waren, haben sich da für Sie neue private Kontakte ergeben?
Wir haben keinen neuen Freundeskreis aufgebaut. Zu unseren Freunden zählten nach wie vor ehemalige Studienfreunde oder frühere Klassenkameraden aus der Lichtwarkschule. Damals habe ich gedacht, ich mache meinen Lehrerinnenberuf bis zur Pensionierung, und zur Not können wir später von meiner Pension leben.
Sie fühlten sich beide in Ihrer Heimatstadt Hamburg immer sehr wohl. Haben Sie jemals Sehnsucht gehabt, in einer anderen Stadt zu wohnen?
Obwohl wir eine ganze Zeit in Berlin und Umgebung gelebt haben – nein, eine solche Sehnsucht haben wir nie gehegt, auch wenn es nördlich von Berlin ganz hübsch war. Wir sind dort öfter zu einem bestimmten Punkt gegangen, von dem aus man einen weiten Blick hatte. Einmal haben wir uns sogar gestanden: Das sieht ein bisschen so aus, als wenn man in Blankenese auf die Elbe guckt, und haben beide gegrinst. Dennoch, nach Berlin hat uns nichts gezogen.
Ins Ausland?
Haben wir mal überlegt. Die Möglichkeit ergab sich, als Helmut 1950 im Auftrag des Senats auf einer Messe in Chicago für den Hamburger Hafen warb und anschließend zu Verwandten nach Duluth in Minnesota fuhr. »Onkel August« Hanft riet Helmut, nach Amerika auszuwandern, und bot ihm eine Stelle in seiner Eisengießerei an. Als Helmut zurückkam, haben wir lange überlegt. Ich war von der Idee weniger entzückt als Helmut, obwohl es ja ein tolles Angebot war.
Das wäre ein echter Kontrast zu Hamburg gewesen.
Gelegentlich flachsen wir mal darüber – »Vielleicht wärst du ja Präsident der Vereinigten Staaten geworden« … Da er dazu in Amerika hätte geboren sein müssen, wäre das etwas schwierig gewesen, aber er hätte immerhin Außenminister oder etwas Ähnliches werden können. Wir haben das Angebot, nach Minnesota auszuwandern, jedenfalls abgelehnt.
Erstmals im Rampenlicht
Der erste Schritt in die Bundespolitik: Haben Sie 1953 lange darüber diskutiert, ob Ihr Mann für den Bundestag kandidieren sollte?
Wir haben gar nicht lange diskutiert, denn für Helmut sollte es mal eine neue Erfahrung sein. Vier Jahre Bundestag, und dann wollte er Schluss machen. Ich fand es auch hochinteressant, dass er das mit dem Bundestagsmandat ausprobieren wollte. Und ob ich ihn mir als Politiker vorstellen konnte? Nein, das konnte ich eigentlich nicht. Aber ich hatte Abschied genommen von dem Traum, dass er Architekt werden würde.
Hatte ihm die SPD damals die Kandidatur angetragen?
Ja, und er kandidierte für den Wahlkreis Hamburg-Nord.
War in Ihrem Elternhaus ein Interesse an Politik in Ihnen geweckt worden?
Was Politik anging, waren meine Eltern sehr vorsichtig. Nach ihrer Enttäuschung über die USPD hielten sie sich zurück. Mein Vater war kurze Zeit Mitglied der Unabhängigen Sozialistischen Partei Deutschlands, einer linkssozialistischen Abspaltung der SPD, gewesen, die von 1917 bis 1931 mal mehr, mal weniger erfolgreich existierte. Meine Eltern hatten zwar eine Vorstellung davon, was sie politisch wollten, vor allem mehr soziale Gerechtigkeit, aber wie Politik funktioniert, davon wussten sie nicht viel.
Es war ja auch schwieriger, sich zu informieren. Fernsehen gab es noch nicht. Radio hatten Sie in Ihrem Elternhaus?
Nein, gab es noch nicht oder nur in den Anfängen.
Eine Zeitung?
Auch nicht. Eine Zeitung war viel zu teuer, wir hatten höchstens hin und wieder mal eine. In meiner Kinderzeit spielte Politik insofern eine Rolle, als meine Eltern mit politisch interessierten Menschen befreundet waren. Damals hat es eine große Hungersnot in der Sowjetunion gegeben, ausgelöst durch das »Kulakenlegen«. Zwischen 1928 und 1937 hat das Stalin-Regime zehn bis 15 Millionen Kulaken, mittlere und größere Bauern, vornehmlich aus der Ukraine, deportiert oder umgebracht. Dementsprechend ist die Produktion von Nahrungsmitteln zurückgegangen. Über diese
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