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Auf dem Rücken des Tigers

Auf dem Rücken des Tigers

Titel: Auf dem Rücken des Tigers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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Frau.«
    Wolfgang, energisch und resolut, wartete voller Ungeduld auf die Eröffnung seiner Klinik. Der Umbau des Hauses in Starnberg war fast vollendet. Ich wurde schon behandelt, bevor die Ordinationsräume eingeräumt waren. Wenn Wolfgang einen Bauarbeiter antraf, der rauchte oder ein Bier trank, hatte er Mühe, an sich zu halten.
    Ich wunderte mich, daß er nicht eine chirurgische Klinik aufmachte, sondern ein Sanatorium. Wütend fuhr er mich an, daß er in seiner Laufbahn genügend Gliedmaßen abgeschnitten habe und sich weigere, am laufenden Band Krüppel zu produzieren.
    »Ich räume dem Feldscher das Feld«, sagte er. »Ich möchte nicht mehr amputieren, sondern schlichtweg Menschen behandeln, die am Leben erkrankt sind.« Ich versuchte Interesse zu simulieren; Wolfgang durchschaute es, aber er hatte sich an seinem Thema festgebissen: »Der Arzt von heute greift zu rasch nach seinem Skalpell und dem Rezeptblock«, fuhr er fort, »er hat kaum mehr die Zeit, seinem Patienten in das Gesicht zu sehen.«
    Wolfgang führte mich durch das Haus wie ein Bauer durch seine Stallungen: »Hier mache ich eine Sauna«, sagte er und ging voraus in einen länglich-ovalen Raum, »und hierher kommt eine Hausbar.«
    »Prost«, spottete ich.
    »Für Gemüsesäfte«, entgegnete er. »Karotten, rote Rüben, Petersilie und Sellerie.« Er zog mich weiter. »Ich werde dich gründlich auskurieren«, versprach Wolfgang. »Die akuten Symptome kriegen wir weg – dein Herz ist noch gut. Die Frage ist, wieweit deine Leber angeschlagen ist. – Mach dich auf einen längeren Aufenthalt gefaßt.«
    Kurz vor der Fertigstellung der Klinik verreiste Wolfgang; ich nahm an, daß er zu einem Tropenspezialisten fuhr, um sich Ratschläge für meine Kur zu holen. Es sah ihm ähnlich: Wolfgang würde sich niemals ändern. Er war mehrere Jahre mit Laura verheiratet, und ich verdächtigte ihn, sich in dieser Zeit weder als Arzt noch als Ehemann geändert zu haben: Die Therapie eines fremden Patienten würde ihm immer noch wichtiger sein als die Diagnose seiner eigenen Ehe.
    Zwei Tage später – fünf Tage früher als erwartet – kam Laura aus New York und bestätigte meine Vermutung.
    Ich hatte an meinem Schreibtisch gesessen und meine Unterlagen sortiert, als ich ein Geräusch hinter mir hörte.
    Bevor ich mich umdrehen konnte, legten sich zwei Hände über meine Augen.
    »Wer ist's?« fragte eine heile Stimme, bei der ich nicht mehr zu raten brauchte: es war Laura.
    Schlank, beschwingt, frisch und verführerisch.
    »Wieso bist du schon da?« fragte ich dumm.
    »Ich wollte dich überraschen.«
    »Das ist dir gelungen.«
    Sie hängte sich bei mir ein und zog mich einfach weiter. »Weiß Wolfgang, daß du schon angekommen bist?« fragte ich.
    »Nein«, entgegnete Laura.
    »Sollten wir ihn nicht aufstöbern?«
    »Willst du mir nun auch noch die Überraschung ver derben?«
    »Ich will dir überhaupt nichts verderben«, entgegnete ich. »Wieso habt ihr euch so plötzlich entschlossen, nach Europa überzusiedeln?«
    »Erstens hatte ich Lust darauf, und dann ergab sich die Möglichkeit.« Sie lächelte: »Mrs. Donovan, Wolfgangs Lieblingspatientin, ist überraschend gestorben.« Laura legte die Hand auf meinen Arm. »Nein, nicht am Hautjucken.« Laura mußte gemerkt haben, daß mein Arm steif wurde. »Mrs. Donovan hat ihr beträchtliches Vermögen vorwiegend Wolfgang vermacht. Er wird künftig sein eigenes Haus haben.«
    »Du meinst – sein eigenes Krankenhaus«, erwiderte ich. Sie begriff sofort die Anspielung.
    »Wirst du nun wieder vor mir ausreißen?« fragte sie unvermittelt. »Ich war sehr zornig auf dich.«
    »Ich war sehr traurig über uns«, sagte ich.
    Ich führte Laura durch die Klinik, die sie zum erstenmal sah. Ich wußte, daß sie Wolfgang mehrmals gebeten hatte, ihm bei seiner Arbeit zu helfen, und immer auf Ablehnung gestoßen war, da der Freund seiner Frau und Patientin den Anblick von Leidenden gern ersparen wollte.
    Wir erreichten die Gemüsesaft-Bar. Ich erläuterte ihr den Zweck des frustrierenden Raums. Wir imitierten aus der hohlen Hand einen Cocktail, prosteten uns zu und lachten.
    Dann ging ich mit Laura zum Strand.
    Ich mietete ein Motorboot und fuhr sie über den Würmsee. Es war ein schöner Herbsttag. Die Sonne machte das Wasser unnatürlich blau. Wir waren allein und brauchten keine Angst vor unseren Worten zu haben. Der Lärm des Motors verschluckte sie.
    Ich zeigte Laura die Stelle, an der der umnachtete Bayernkönig

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